Märchengottesdienst - Tierpark Sababurg 2006
Aschenputtel
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Glocken vor dem Kirchenzelt
Zum 9. Mal läuteten am 2. Juli 2006 die Glocken für den Märchengottesdienst im Tierpark.
Märchen gehören zusammen mit den biblischen Geschichten zu den ältesten überlieferten Erzählungen. Beim genauen Hinhören haben beide vieles gemeinsam, denn gute Geschichte sind nicht Fantastereien, sondern geben uns Einblick in innere Wahrheiten.
Einmal mehr wurde deutlich, dass viele der Grimmschen Märchen insbesondere auf die Lebenssituation Jugendlicher zugeschnitten sind. Es war einmal .... und ist noch immer.
Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, dass ihr Ende herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: "Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herabblicken und will um dich sein."
Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab. Als die Sonne im Frühjahr das Schneetuch wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau brachte zwei Töchter mit ins Haus, die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit an für das arme Stiefkind.
Aschenputtels Stieffamilie zieht ein
Soweit die traurige Vorgeschichte. Das einst geliebte Kind wird zum bemitleidenswerten Aschenputtel, das fortan schwer arbeiten und in der Asche schlafen musste. Doch Vorsicht! Im Märchen passiert nichts zufällig.
Asche - eine Spur vergangenen Lebens. Etwas was einmal war, sich aber nicht wieder zusammenfügen lässt. Wie die behütete Kindheit, die vergeht, wenn ein Mensch sich auf den eigenen Weg in das Leben macht. Das Mädchen, das trotz seines schweren Schicksals "fromm und gut" bleibt, erinnert an den Hiob, der alles verliert und in der Asche landet. In der Bibel gehört Asche zu den Trauerriten.
Die Asche, in die sie ungerechter Weise gestoßen wird passt zur inneren Situation Aschenputtels. Vielleicht ist das der Grund, warum es kein Aufbegehren zeigt, sondern sich wie Hiob fromm und treu dem Schicksal beugt.
Die eitlen Stiefschwestern wickeln derweil den Vater um den Finger und wünschen sich, als er verreisen muss, oberflächlichen Tand als Mitbringsel. Das Aschenputtel dagegen bittet um nichts weiter als einen Zweig, den sie auf dem Grab der Mutter pflanzt.
Aus dem Haselzweig, den der Vater mitbringt, wächst ein schöner Baum auf dem Grab der Mutter. Hilfreiche Vögel nisten sich dort ein, die Aschenputtel zur Seite stehen.
Was Aschenputtel für sich erbittet, erscheint in den Augen der Stiefschwestern völlig wertlos. Aber im Gegensatz Perlen und Seide ist das Zweiglein nichts Totes, sondern etwas Lebendiges. Etwas das entwicklungsfähig ist, das Zukunft hat.
Die beiden Stiefschwestern entwickeln sich nicht weiter. Ihr kindliches Interesse geht über glitzernden Spielkram nicht hinaus. Aschenputtel wird nicht mehr wie ein Kind behandelt. Von ihr wird erwartet, dass sie früh aufsteht und mitarbeitet. Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Das ist die mühsame Wirklichkeit der Erwachsenen.
Die Ungerechtigkeit spitzt sich unerträglich zu in dem Bild der ausgeschütteten Linsen, die Aschenputtel auslesen muss, um die Erlaubnis zum Tanz am Königshof zu bekommen. Aschenputtel, die sich für keine Arbeit zu schade ist, für diese Aufgabe, die sie nur erniedrigen soll, nimmt sie Hilfe in Anspruch.
Tauben kommen dem Aschenputtel zu Hilfe
Im Märchen sind es die Vögel, die Aschenputtel zur Seite stehen. Sie kommen aus der himmlischen Welt, in der die Mutter fortlebt. Auch die Bibel kennt die Taube als Geist Gottes oder geflügelte Engel als himmlische Helfer. Das alles sind Bilder für die unsichtbaren Kräfte, die einen entscheidenden Einfluss auf unser Leben haben.
Der Auftrag ist erfüllt, doch bleibt Aschenputtel nichts, als auch noch die Schwestern herauszuputzen für den Ball am Königshof. Ihr wird dieses Vergnügen verwehrt.
Doch als niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief: "Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich." Da warf ihm der Vogel ein silbernes Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur Hochzeit.
Aschenputtel sinnt nach
Unvollkommen noch,
doch schon
füreinander bestimmt
Die Entscheidung ist getroffen. Aschenputtel wird zum Tanz gehen. Das Unmögliche wird wahr, der Königssohn will nur mit ihr tanzen.
Es sind nicht die sichtbaren Kleider, in die sich der Königssohn verliebt. Es ist die Frau in den Kleidern, die unsichtbare Würde, die von ihr ausgeht. Zu dieser inneren Selbstachtung gehört es auch, dass sich Aschenputtel dem Königssohn nicht gleich an den Hals wirft. Sie flieht nicht zu ihm wie zu einen Retter, der sie aus ihrem Aschendasein erlösen soll. Vielmehr entzieht sie sich ihm - einmal, zweimal, dreimal.
Wenn etwas im Märchen dreimal passiert, dann ist es kein Zufall, sondern etwas Grundsätzliches. Aschenputtel behält ihre Selbständigkeit gegenüber dem Königsohn.
Und seine Liebe reift unter der Erfahrung des Verlierens und Findens. Denn auch er kann sein Glück nicht finden, ohne Pech zu haben.
Aschenputtel lässt sie ein Pfand zurück, einen goldenen Schuh.
Der Schuh wird zum Erkennungsmerkmal. Die Schwestern leben im wahrsten Sinne des Wortes auf zu großem Fuße. Nur Aschenputtel, die zur Frau herangereift ist, passt wirklich hinein in ein neues Leben.
Aschenputtel gibt sich dem Prinzen zu erkennen, der sie in sein Königreich und in die Ehe führt.
Ende gut - alles gut? Nein. Das Märchen kennt Belohnung - und Bestrafung. Die Tauben, die Aschenputtel schützen, hacken den selbstgefälligen Schwestern die Augen aus. Himmelsboten können hart sein. Das weiß auch die Bibel: "Die Letzten werden die Ersten sein. - Und die Ersten die Letzten."
Hinter solcher Härte steckt kein unbarmherziger Sadismus, sondern eine realistische Einsicht in das Leben. "Es ist nicht egal, wie wir uns verhalten."
Einen Fehler freilich sollten wir von vornherein vermeiden: Aschenputtel und die Stiefschwestern gegeneinander auszuspielen. Wir sind aber nie nur Aschenputtel; wir tragen manchmal auch Züge der verwöhnten Schwestern an uns oder der bösen Stiefmutter oder des unfähigen Vaters.
Märchen, ebenso wie die biblischen Geschichten, zeigen uns, wie wir sind: Wesen, aus Licht und Schatten gewoben, und der Riss geht mitten durch einen jeden hindurch. Und indem sie uns so den Spiegel vorhalten, wollen sie uns - sanft und behutsam - auf die Seite eines heilvolleren Lebens drängen…
Es lasen und spielten KonfirmandInnen aus Lippoldsberg:
Lena Remhof, Ann-Christin Schreyer, Johanne Wicha, Mylene Nückel, Laura Sawkins, Sally Diekmann, Melina Niemeyer, Annika Zackenfels, Nadine Gans, Katharina Bieck, Joana Schneider