Perspektivwechsel im Kirchenraum
Experimentierfreudiges Baustellenkonzert in der Klosterkirche
(Bericht der HNA vom 22.Mai 07 - Nicola Uphoff-Watschong)
LIPPOLDSBERG. "Da habe ich ja noch nie bei einem Konzert gesessen!" wunderten sich viele der Klosterkirchen-Besucher, als sie auf die Bankreihen im Chorraum der Basilika verwiesen wurden, dorthin, wo sonst traditionell die Bühne verortet ist. Doch die war in das Langschiff verlegt, mitten hinein in das Gerüstgestänge, das für die nächsten Monate während der Innensanierung bis unter das Gewölbe reicht. Pfarrer Christian Trappe legte in einer Einführung Wert darauf, die veränderte und optisch entstellend wirkende Perspektive nicht als Makel anzusehen, sondern als Chance, Neues zu entdecken.
Stahl, Farbe und Klang - wie "hineingebeamt" in die ungewöhnliche Szenerie
erkundet Sopranistin Gundula Bernhold den neuen Klangraum
der Klosterkirche Lippoldsberg zwischen den Gerüsten.
Die Sopranistin Gundula Bernhold und der Schlagzeuger Olaf Pyras waren gekommen, um diesen neu entstandenen Spielraum bis in die höchste Höhe klanglich zu erforschen. Hinein gewoben in die experimentellen Szenen waren klassische Kompositionen von Dietrich Buxtehude, dessen Todestag sich zum dreihundersten Mal jährt. Doch auch dies geschah in veränderter Kulisse, denn die Orgel ist für die Zeit der Renovierung hinter Plastikplanen gegen Staub und Blicke geschützt. Zu sehen war allenfalls der Schatten von Kantorin Elisabeth Artelt, die mit dem Instrument leicht gedämpfte Töne durch die blau illuminierte Wand schickte.
Handfester Baulärm hallte nach Praeludium, Fuge und Ciacona in C-Dur durch den Raum. Während Olaf Pyras das farbig beleuchtete Gerüst als innovatives Schlagzeug nutzte, erprobten Gundula Bernhold und die Kantorin den neuen Klangraum mit ihren Stimmen. Dazu wehten Obertöne aus simplen, gerillten Plastikschläuchen durch die Kirche. Was manchem vielleicht wie eine beliebige Geräuschkulisse erschien, hatte jedoch durchaus ein Muster aus gegenseitiger Wahrnehmung, aus Impuls und Antwort.
Choralvorspiele von Buxtehude lösten das zeitweilig wilde Klangspektakel ab - Gundula Bernhold übernahm das strahlende "Magnificat noni toni" und formte mit Pfarrer Christian Trappe ein Wechselspiel aus improvisiertem Gesang und biblischer Lesung aus dem Buch des Predigers Salomo.
Schlagwerker Olaf Pyras am Marimbafon - die große Klangbreite des Instruments
korrespondierte mit den Steinen der Klosterkirche Lippoldsberg.
Ein drittes Element, diesmal auf eine "ordentliche" Bühne vor dem Gerüst verlegt, spielte japanisch beeinflusste Klänge vom Marimbafon ein. Olaf Pyras baute mit der Komposition "Mharuva" von Michael Ranta immer wieder neue Tonskalen auf, die dennoch von ein und demselben "Orgelpunkt" getragen eine meditative Ruhe behielten.
Zunächst kaum wahrnehmbar übernahm Elisabeth Artelt improvisierend die Töne an der Orgel und führte sie hinein in ein weiteres Choralvorspiel von Buxtehude. Den Clou des ungewöhnlichen Konzerts bildete das "Maurerlied", bei dem Olaf Pyras auf dem Gerüst verschraubte Maurerkellen mit afrikanisch anmutenden, melodischen Rhythmen zum Klingen brachte. Beruhigend mischte sich zum Schluss noch einmal die Orgel mit dem Praeludium in D-Dur ein.
Wie geschaffen für die Baustelle Klosterkirche Lippoldsberg
war das Maurerlied, zu dem Olaf Pyras sogar Maurerkellen Klänge entlockte.
Dem Publikum machte die veränderte Perspektive sichtlich ebensoviel Spaß wie den Musikern. Da sich die Innenrenovierung bis in das nächste Jahr hineinziehen wird, kann man auf weitere experimentelle Baustellenkonzerte hoffen.
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