Die Ruhe nach dem Sturm
Kreiskantorei Hofgeismar besang die Schöpfung zum Lobe Gottes
(Bericht der HNA vom 29. September 2015 - Nicola Uphoff-Watschong)
Lippoldsberg. Am siebten Tage ruhte Gott von seinem ganzen Werk.... aber vorher gab es viel Arbeit, nicht nur für die Schöpferkraft, die nach christlichem Glauben diese Welt in sechs Zyklen erschaffen hat.
Die Kreiskantorei Hofgeismar hat weit mehr als sechs Tage damit verbracht, das große Oratorium "Die Schöpfung" von Joseph Haydn einzustudieren. Mehrere Wochen mit intensiven Proben unter Leitung von Kreiskantor Dirk Wischerhoff gingen voran.
Die Krönung schließlich, das Aufführungswochenende, wurde zum Marathon mit Orchesterproben, zwei Konzerten in der Altstädter Kirche Hofgeismar und einem in der Klosterkirche Lippoldsberg. Mehrere hundert Zuhörer kamen dabei in den Genuss brausender, manchmal fast rauschhafter Klänge.
Eines der Konzerte war speziell für Kinder gestaltet, denen das große Werk mit kindgerechten Erklärungen und Ratespielen nahe gebracht wurde. Einige Kinder durften am Sonntagmorgen sogar selbst das Orchester der Heidelberger Kurpfalzphilharmonie und den Chor dirigieren.
Nachmittags ging es dann in Lippoldsberg hochkonzentriert in das Finale, konzentrierter noch als am Abend zuvor in Hofgeismar, wie Mitsänger Dr. Eckart Claus (Grebenstein) bemerkte. Raumbedingte Unterschiede stellte zudem Peer Schlechta fest, der das Orchester auf dem Cembalo unterstützte: "In Hofgeismar war der Gesamtklang gradliniger, dafür mischt er sich in der Klosterkirche besser."
So oder so - das oppulente Werk und die gelungene Aufführung hatten Gänsehautfaktor 100. Haydns Kompositionskraft und die Wortkunst Gottfried van Swietens nahmen die Zuhörer sofort gefangen. Die Urgewalten des Anfangs bestürmten das Ohr und wurden im Laufe der Musik immer feiner, immer lieblicher bis hin zum zart schmelzenden Liebensgeflüster von Adam und Eva. Augenzwinkernd pointiert wurde dies von Uriel (Rolf Sostmann) mit der Warnung "nicht mehr zu wünschen, als sie haben und nicht mehr zu wissen, als sie sollen".
Solisten v.l.: Thomas Wiegand (Bass, Melsungen), Rolf Sostmann (Tenor, Oslo)
und Traudl Schmaderer (Sopran, Kassel)
Während Traudl Schmaderer (Sopran), Rolf Sostmann (Tenor) und Thomas Wiegand (Bass) mit wunderbar intonierten Soli als Erzengel die Erzählung des Geschehens übernahmen, fiel der Kantorei die Rolle der Bewunderer von Gottes Schöpfung zu. Ihre Choreinsätze wurden mit viel Herzblut und sichtbarer Begeisterung gestaltetet, einzig der Schlusschor blieb in der Kraft ein wenig hinter dem brillanten Orchester zurück, das mit Pauken und Trompeten das "Lob im Wettgesang erschallen" ließ und gewann.
Im Grunde aber war es für alle ein Gewinn. Ein so großes Werk aufzuführen und anzuhören gehört zu den Sternstunden im Leben musikbegeisterter Menschen, vor allem, wenn es insgesamt so erstklassig besetzt ist. In der Ruhe nach dem Sturm hallte der Applaus am siebten Tag der Schöpfung noch lange nach.
Über das Werk
von Dirk Wischerhoff
Drei Jahre, von 1796 bis 1798 arbeitete Haydn an dieser Komposition, die zum bedeutendsten Werk ihrer Gattung 40 Jahre nach Händels Tod werden sollte. Und bis heute hat diese Musik offenbar nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Das erstaunt eigentlich: scheint doch dieses Werk völlig quer zu unserem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts zu stehen, in dem wir doch überwiegend ernüchtert oder gar erschrocken den Folgen einer wissenschaftlich – technischen Bemächtigung der Welt gegenüber stehen. Ist da das Bild von Schöpfung, wie es uns Haydns Werk nahe legt, nicht grenzenlos naiv?
Doch Haydns Musik gibt uns einen Begriff von "Schöpfung", der sich eben gerade einer wissenschaftlich – technischen Bemächtigung entzieht und widersetzt. Sie gibt einer Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, nach dem "... und siehe, es war sehr gut!" einen elementaren Ausdruck. Sie ist getragen von tiefer Dankbarkeit, sie ist Ausdruck dafür, dass uns Menschen alles wirklich Wesentliche vorgegeben, geschenkt ist.
"Dies gibt uns die Möglichkeit, uns zu erinnern und zu erfreuen an der Reinheit, Anmut und Kraft der Natur glückselig mit Adam und Eva durch den Garten aller Gärten zu schlendern, unsere Seele zu stärken, unsere moralische Stärke zurückzugewinnen und unsere Kraft wiederzuentdecken, Gott zu preisen." (Leonard Bernstein über Haydns "Schöpfung")
Zugleich spiegelt sie etwas vom Wesen des Heiligen, sie eröffnet die Option von ehrfürchtigem Staunen statt technischer Bemächtigung und wirft die existentielle Frage auf: Dürfen wir alles, was wir können?
So erweist sich Haydns Oratorium "Die Schöpfung" als ein äußerst vielschichtiges Werk, das viele individuelle Zugänge erlaubt und das Menschen ganz unmittelbar anzusprechen vermag.
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