Radleuchter
Seit 1999 schwebt über dem Altar ein weitausladender Radleuchter, der auf seine Weise noch einmal das Zentrum der Kirche betont. So modern die Gestaltung des Leuchters auch sein mag, nimmt sie doch eine alte romanische Formsprache auf. Im Hildesheimer Dom gibt es ähnliche Leuchter. All diese romanischen Ringleuchter spiegeln jenes große biblische Motiv wieder, das wie kein anderes die mittelalterliche Baukunst inspiriert hat: Die Vision des himmlischen Jerusalem
Das himmlische Jerusalem
Aus der Offenbarung des Johannes, im 21.Kapitel:
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde;
denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen,
und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem,
von Gott aus dem Himmel herabkommen.
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,
die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein,
und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein,
noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.
Hezilo Leuchter - Hildesheimer Dom - 1070
Kaum vorstellbar, dass dieses herrliche strahlende Bild dicht neben all den schrecklichen Szenarien der Zerstörung steht, für die die Apokalypse, das letzte Buch der Bibel, bekannt ist. Aber auch in der lichtvollen Schilderung des himmlischen Jerusalems hallt das große Echo des Weltuntergangs nach: der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen und das Meer ist nicht mehr.
Die Apokalypse ist ein schwieriges Buch, aber auch ein realistisches. Sie malt uns bildhaft vor Augen, dass die Welt, wie wir sie kennen, auf Dauer keinen Bestand hat. Die Apokalypse redet dabei nicht nur vom fernen Ende der Zeiten, sie redet - auch - von der Gegenwart. Diese Welt geht unter, immer wieder neu.
Die Apokalypse kennt die Sehnsucht nach einer heilen Welt, aber sie weiß auch, dass wir Menschen die heile Welt nicht machen können. Wir können sie zwar erleben, manchmal, aber wir können sie nicht festhalten. Wir können uns nur dafür öffnen, dass es kommt: das glücklich, erfüllte Leben,als ein Geschenk von Gott, das dann alles erfahrene Leid hinter sich lässt.
Hezilo Leuchter - Hildesheimer Dom - 1070
Der Leuchter über unseren Köpfen ist - alten, romanischen Vorlagen entsprechend - ist das Abbild einer heilen Welt, des himmlischen Jerusalem. Nicht fest verwurzelt in der Erde, nicht ganz greifbar - und doch da, schwebt es über dem Altar, verweist uns auf diesen Punkt.
Begegnen kann uns die heile Welt, das erfüllte Leben, überall und jederzeit. Suchen und einüben sollen wir es hier: in der Kirche, an Gottes Tisch wo sich die Gemeinde um Brot und Wein versammelt und - wenigstens für Augenblicke - alle Grenzen, Belastungen und Feindseligkeiten hinter lässt, um miteinander dem Geheimnis des Lebens nachzuspüren.
Die heilige Zahl 12
Aus der Offenbarung des Johannes, im 21.Kapitel:
Die himmlische Stadt hatte eine große und hohe Mauer
und hatte zwölf Tore und auf den Toren zwölf Engel
und Namen darauf geschrieben,
nämlich die Namen der zwölf Stämme der Israeliten:
von Osten drei Tore, von Norden drei Tore,
von Süden drei Tore, von Westen drei Tore.
Und die Mauer der Stadt hatte zwölf Grundsteine
und auf ihnen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes.
... Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen,
ein jedes Tor war aus einer einzigen Perle.
Die heile Welt hat eine Zahl: 12
Zwölf ist die Zahl der Stämme Israels.
Zwölf ist auch die Reihe der Apostel.
Zwölf Tore zählt das himmlische Jerusalem;
und seine Länge, Breite und Höhe beträgt 144, also 12 x 12 Ellen.
Zwölf Lampen und zwölf Speichen hat auch dieser Radleuchter.
Warum immer wieder Zwölf? - Woher kommt diese Zahl? Um das zu ergründen, müssen wir uns auf ungewohnte Zahlenspiele einlassen:
Schürmannscher Radleuchter
Lippoldsberger Klosterkirche - 1999
In zwölf Monate ist unser Jahr geteilt.
Und in zwölf Abschnitte hat man seit jeher das Himmelsband unterteilt, das Sonne und Mond im Laufe eines Jahres immer wieder durchmessen.
Tatsächlich haben die Israeliten ihre Vorliebe für die Zahl Zwölf von den Astrologen der benachbarten Hochkulturen übernommen. Im alten Ägypten, in Babylon und so auch in Jerusalem galt die Zwölf als Zahl der umfassenden himmlischen Ordnung. So gesehen, ist es nicht verwunderlich, dass auch das neue, das himmlische Jerusalem durch diese Zahl geprägt ist.
Im Christentum wächst der Zahl Zwölf noch eine andere Symbolbedeutung zu:
In 12 steckt 3 x 4.
Die Drei ist im Christentum die Zahl Gottes: Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Und Vier gilt als Zahl der Schöpfung: 4 Himmelsrichtungen, 4 Jahreszeiten usf.
Die Zahlen in denen 3 + 4, der Schöpfer und seine Schöpfung, in Harmonie zusammenfinden, gelten als Heilige Zahlen: nämlich 7 und 12.
Im mathematischen Spiel wird so ausgedrückt, was das Wesen des himmlischen Jerusalem ausmacht: Das einträchtige Miteinander von Gott und den Menschen.
Licht und Klarheit
Aus der Offenbarung des Johannes, im 21.Kapitel:
Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes,
dass sie ihr scheinen;
denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie,
und ihre Leuchte ist das Lamm.
Und es wird keine Nacht mehr sein;
denn Gott der Herr wird sie erleuchten,
und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Und die Völker werden wandeln in ihrem Licht;
und die Könige auf Erden
werden ihre Pracht und ihren Reichtum in sie bringen.
Und ihre Tore werden nicht verschlossen am Tage;
denn da wird keine Nacht sein.
Thietmar Leuchter ( Azelin Leuchter )
Hildesheimer Dom - um 1400
Edelsteine, Perlen, Glas und ein allgegenwärtiges, durchscheinendes Licht kennzeichnen die himmlische Stadt Jerusalem. Schon deshalb legte sich den romanischen Baumeistern die Verbindung von Leuchter und der Stadtsymbolik nahe. Und sie schufen Radleuchter in Gestalt goldglänzender Stadtreliefs, mittelalterliche Skylines mit Zinnen, Türmen und Toren.
Auch moderne Architekten sind von der Idee lichtdurchfluteter Häuser fasziniert, und wer durch die großen Städte geht, stößt allenthalben auf gläserne Fassaden. So gewinnen die Sehnsuchtsträume der Menschheit Gestalt, und doch erfüllen der Konsumtempeln ihre Heilsversprechen nur sehr bedingt.
Schürmannscher Radleuchter
Lippoldsberger Klosterkirche seit 1999
Entstehungsgeschichte des Lippoldsberger Leuchters
- Seit einigen Jahren schon bemühen sich der Kirchenvorstand Lippoldsberg und die Landeskirche um eine Verbesserung der Beleuchtung in der Klosterkirche. Ältester Hinweis auf einen Plan zur Verbesserung der Beleuchtung: Vermerk zur Baubegehung am 16.4. 1991 (8 Jahre zuvor)
- Anfrage an den Kölner Architekt Joachim Schürmann 19.11.1993: Schürmann legte dazu einen Entwurf vor, der bereits einmal in Groß St.Martin zu Köln umgesetzt wurde und der unserer romanischen Basilika formal sehr angemessen ist.
- Beleuchtungsprobe im April 1996 - ein Modell des Radleuchters wird montiert.
- Spenden wurden gesammelt. Mit Hilfe der dänischen Firma Scan Metal wurde es möglich, den Leuchter weit unter den ursprünglich veranschlagten Kosten herzustellen. Er wurde am 15.April 1999 montiert und im Gottesdienst am Sonntag Jubilate eingeweiht.