Gottesdienst als spirituelles Erlebnis
Eine unzeitgemäße Betrachtung über sonntägliche Rituale
Früher hatte der Sonntag feste, verbindliche Formen. Am Samstag Nachmittag, wenn die Glocken den Feiertag einläuteten, war Zeit zum Baden, zur Reinigung, zur Erholung. Und der Gottesdienst am Sonntag war der Ort der "Erbauung", der feierlichen Erhebung aus dem Alltagsgrau. Danach ein festliches Sonntagsessen am gemeinsamen Mittagstisch - Leben in Fülle zum Schmecken.
Heute sieht der Sonntag anders aus. Der freie Tag hat die zuweilen gezwungene Feierlichkeit abgestreift, ist freier geworden - und das ist gut. Nachtschwärmer schlafen gerne aus. Unternehmungslustige und Sportbegeisterte stürzen sich in Freizeitstress. Eltern, die die Woche über zur Arbeit fahren, brauchen den freien Tag dringend als Familienzeit.
Was dabei verloren geht, ist die ursprüngliche Bestimmung des Sonntags als Tag der Ruhe, des Zurückfindens zu sich und zum Leben. Und die Ahnung von etwas Größerem als dem, was vor Augen ist.
Gottesdienst als Eventkultur?
Auch in der Kirche ist manches in Bewegung gekommen: Gottesdienste sind offener und bunter geworden. Die Musik vielgestaltiger. Kirchenräume werden aufwendig renoviert, und die Verantwortlichen in den Gemeinden verwenden viel Mühe und Liebe darauf, die Geheimnisse des Lebens zeitgemäß und menschennah zu feiern. Und das ist auch gut.
Aber in der gegenwärtigen Eventkultur, wo jedes Wochenende überall Party ist, liegt es auch kirchlicherseits nahe, auf diesen Zug aufzuspringen: Jeden Gottesdienst als besonderes Highlight für eine spezielle Zielgruppe zu gestalten.
Doch zum einen kommt eine Gemeinde so schnell an die Grenze ihrer Kräfte - und das angekündigte Fest gerät nur zu einem müden Aufguss. Zugleich entwertet sich die derzeitige Feierkultur selbst, weil richtige Feste nun mal vom Kontrast zu den "sauren Tagen" leben, in denen sich Spannung aufbaut und auch Zeit bleibt zum Ausklingen.
Der Geist des Sonntags
Wie werden die Sonntag für sie
künftig aussehen? Konfirmierte in der
Klosterkirche Lippoldsberg
Das Ringen um den Geist des Sonntags - und das heißt langfristig auch um den Erhalt des gemeinsamen Wochenfeiertags - ist nicht durch eine immer aufwendigere Gottesdienstgestaltung zu gewinnen. So sehr überzeugende Feierformen zu besonderen Anlässen wünschenswert sind, im Wochentakt kann eine Kirchengemeinde den Wettlauf mit der pluralen und multimedialen Welt nicht gewinnen.
Als allsonntägliches Ritual darf der Gottesdienst nicht von der Brillanz des Predigers oder der hochkarätigen Kirchenmusik, von originellen Einfällen des Vorbereitungsteams oder der situativen Wendigkeit eines begabten Moderators leben.
Die kirchliche Zukunft des Sonntags wird sich vielmehr an dem entscheiden, was Fulbert Stefensky "Schwarzbrot-Spiritualtät" nennt. An der Frage, ob die Menschen selbst wieder "liturgiefähig" werden. Ob sie spüren, dass feste Rhythmen in einer immer hektischeren Zeit heilsam sind. Dass Rituale helfen können, im Verwirrspiel vermeintlicher Wandlungen gelassen zu bleiben.
Die Chancen dafür stehen durchaus nicht schlecht. Die Frage ist nur, ob die spürbare spirituelle Suche vieler Menschen nicht an der Kirche vorbeiläuft.
Sonntagsritual als Freiraum erleben
Entscheidend wird sein, ob die Kirche ihre eigenes Sonntagsritual wirklich als Freiraum des Heiligen Geistes entdeckt. Als eine Stunde, die Gott macht - und die gar nicht so sehr an dem hängt, was wir tun oder nicht tun. Als eine Zeit, in der das Himmelreich, das nicht von dieser Welt ist, zum Greifen nahe kommt - wenn wir nur ein wenig unseren Sinn drehen.
Wenn die Talartragenden den Mut finden, sich aus dem Zwang zur Belehrung zu lösen und die Gemeindeglieder aus der Rolle ewiger Schüler entlassen. Und wenn Menschen sich einfach zusammenfinden zur spirituellen Übung vertieften Lebens:
Sich eine Weile lang Zeit nehmen, um sich von heiligen Worten und meditativer Musik aufrichten und einrenken und ausrichten zu lassen.