Konfirmation als Initiation
Hinweis: Bewegen der Maus auf gepunktet unterstrichene Fremdwörter zeigt die Übersetzung in einem Infofensterchen.
Konfirmanden - Nacht des Feuers
Der Klan der Jungs
Im Rahmen einer Konfirmandenfreizeit mit Lippoldsberger Konfirmanden und einem Mentorenteam aus Pfarrern und Pädagogen wurde in der Johannisnacht 2003 für die Jungs eine "Nacht des Feuers" entwickelt, für die Mädchen eine "Nacht des Wassers".
Konfirmanden befinden sich in einer Übergangszeit ... nicht mehr Kind, noch nicht erwachsen. Viele Kulturen zelebrieren für Jugendliche in diesem Alter Riten, die ihnen den Zugang zu der Welt der Erwachsenen und in sich selbst hinein eröffnen sollen.
Lebensübergänge sind individuelle Krisensituation, bei denen sich wesentliche Aspekte einer Person auflösen und neu formiert werden müssen, wobei das Kollektiv mit rituellen Formen stabilisierend und orientierend zur Seite steht.
In der kritischen Situation der Reifezeit wollen Initiationsriten Unterscheidung und Klarheit schaffen, und zwar sowohl für den Einzelnen wie für das Kollektiv. Das Ritual stellt eine eingetretene Veränderung dar und hebt sie ins Bewusstsein; es kann auch symbolisch antizipieren, was noch nicht da ist, und so neue innere Entwicklungen anstoßen.
Konfirmanden - Nacht des Feuers
Nabelschnur durchtrennen
In archaischen Gesellschaften gibt es oft einen harten Schnitt zwischen Kindheit und Erwachsenendasein sowie klare Verhaltensregeln für beide Lebensformen. Zwischen den beiden Lebensbereichen
vermittelt die Zeit der Initiation, die die Heranwachsenden vor komplexe, teilweise schwierige Aufgaben stellt, aber doch
auch relativ kurz ist (einige Tage, Wochen oder Monate).
Die moderne Welt hat mit dem Konzept der Jugend eine über Jahre gestreckte Übergangszeit geschaffen. D.h. die drei Phasen eines klassischen Passageritus (Ablösung, Umwandlung, Integration; Näheres siehe bei A. v. Gennep: Passageriten) verlieren an Klarheit und Übersichtlichkeit, wodurch die für eine Umwandlungsphase typische Diffusität nicht gerade entschärft.
Zudem wird die Aufgabe der Initiation in unserer komplexen Welt von sehr unterschiedlichen, kaum aufeinander bezogenen Trägern wahrgenommen:
- Schule (am deutlichsten in Internaten)
- Konfirmandenunterricht
- Jugendfreizeiten (auch Auslands-Erfahrungen im Schüleraustausch)
- Formen der Jugendkultur
- Tanzschule (In Amerika hat die erste Nacht offiziellen Ausbleibens einen festen Namen: "Prom")
- Fahrschule (erschließt den erweiterten Raum eigenständigen Lebens)
- Militär (Haarescheren, Einkleiden, Namensänderung Trennung vom Elternhaus, Leidensunterwerfung sind typische Initiationstechniken)
- diverse Studien- und Ausbildungsgänge (am deutlichsten ritualisiert wohl in die Lehr- und Wanderjahren den Handwerksgesellen)
Konfirmanden - Nacht des Feuers - Reinigung
Der Konfirmandenunterricht ist also nur ein Teil aus dem breiten Spektrum gesellschaftlicher Initiationsangebote. Und eine Aktion wie die "Nacht des Feuers" kann keineswegs als abgeschlossene Initiation verstanden werden, sondern zielt darauf ein Gesamtverständnis des Konfirmandenunterrichts und der zusammenhängenden, aber diffus gewordenen Umwandlungsphase der Jugendzeit zu begründen.
Der Ansatz, die Konfirmation als (Teil einer) Initiation zu verstehen, bedeutet auch nicht grundsätzlich Neues, da wesentliche Initiations-Elemente stets im Konfirmandenunterricht vorkamen, nun aber als solche erkannt werden - und bewusster gestaltet werden können.
Ein Blick auf die klassischen Initiationstechniken macht deutlich, wie nah kirchliche Formen damit verwandt sind, aber auch wie weit der traditionelle Konfirmandenunterricht von anderen vitalen Erscheinungsformen (z. B. in der Jugendkultur) entfernt ist:
Sprache und Literatur
Initiation war immer eine Zeit des Lernens. Die Heranwachsenden werden zum Beispiel durch Rezitation (bzw. Lektüre) und Mysterienspiel (bzw. Filme) mit den großen Erzählungen vertraut gemacht, die für die jeweilige Gesellschaft konstituierend sind. Durch Wiederholung lernen sie zentralen Symboltexte auswendig und üben sich in die überlieferten Rituale ein (Mantren, Sprüche, Psalmrezitationen etc.).
Musik
Insbesondere stark rhythmische Musik, die eine trance - induzierende Wirkung hat. Trance ist eine Technik, um den Bereich des Bewusstseins zu unterlaufen und unentdeckte, intuitive Wissensbereiche zu öffnen.
Tanz mit Konfirmandinnen
bei der Nacht des Wassers
Tanz
Physiologisch ganz eng mit dem Hörsinn verbunden ist das Gleichgewichts- und Bewegungszentrum des Menschen. Musik und Tanz, die in der Jugendkultur stets wichtig waren, wurden oft auch Religionen genutzt: In Tanzformen (z.B. Tai Chi) können komplexe Lebenseinstellungen weitergegeben werden.
Maskenspiel/Rollenspiel
Die Adoleszenz-Initiation ist ein klassischer Zeitpunkt für die Beschäftigung mit Masken. Masken werden immer dann interessant, wenn das Identitätskonzept brüchig wird; sie treten wieder zurück, wenn die Identität stabil ist. Indem die Maske ein Gesicht herzeigt, verhüllt sie gleichzeitig ein Gesicht und ermöglicht ein lebendiges, erprobendes Spiel im Zwischenbereich einer Metamorphose.
Maskierung von Konfirmandinnen
bei der Nacht des Wassers
Körperbemalung
Eine sehr archaische Form des Maske ist die Körperbemalung, die im Bodypainting eine Renaissance erlebt hat und neben dem Spiel mit der Identität eine intensive Körpererfahrung vermittelt. Auch Piercing und Tattooing sind Spielarten.
Kleidung
Die traditionelle Ausdrucksform zur Darstellung von Identität ist die Kleidung, die ebenfalls für Jugendliche ein ewiges Thema ist. Die betont "hässliche" Verhüllung hat in Initiationszusammenhängen ebenso Vorbilder (Einreiben mit Totenasche) wie die prächtige Herausstellung (Konfirmationskleidung).
Geschlechtertrennung
Zum einen vereinfacht die Aufteilung in getrenntgeschlechtliche Gruppen die Begegnung mit sich selbst. Zum andern wird sich die Einführung in das Leben für Jungen und Mädchen zumindest in Teilbereichen unterschiedlich gestalten.
Der Klan der Mädchen bei der Nacht des Wassers
Isolation
Eine klassische Initiationstechnik ist die Absonderung, die in archaischen Welten eine existenzielle Bedrohung darstellte, da der Einzelnen ohne das Kollektiv auch mental kaum überlebensfähig war. Die Absonderung kommt aber auch natürlichen Rückzugstendenzen von Jugendliche entgegen: der Einigelung in eine vor den Erwachsenen sorgsam verborgenen Welt (Keep-Out-Zimmer; Jugendsprache). Als zeitlich begrenzte Prüfungsaufgabe fördert die Absonderung individuelle Reifungsprozesse im Sinne einer Verpuppung und ermöglicht eine Rückkehr als veränderte Person.
Konfirmanden auf dem Weg
bei der Nacht des Feuers
Initiationsreise
Die zeitweise Herauslösung aus dem Elternhaus und der Aufbruch in die Fremde ist ein klassisches Initiations-Technik, die sich bis heute erhalten und bewährt hat (Konfirmandenfreizeiten; Nachtwanderungen).
Begegnung mit Leid und Tod
Letztlich geht es bei einer Initiation immer um einen symbolischen Durchgang durch eine Sterbeerfahrung hinein in neue Existenz. Zudem ist die Begegnung mit dem Leid eine Realitätserfahrung, die im Übergang aus der Vormundschaft in die Selbständigkeit erfahren und integriert werden muss.
Visionssuche
Ziel der Initiation ist oft die Suche eines Traums, eines Symbols der eigenen unverwechselbaren Persönlichkeit. Dabei werden neben Isolation, Fasten in manchen Kulturen auch kontrolliert Drogen eingesetzt. Das Interesse Jugendlicher an Alkohol und anderen Drogen ist kein Zufall, bleibt aber in unserer unbegleiteten Kultur hochproblematisch.
Namensänderung
Untergehen - Auftauchen
bei der Nacht des Feuers
In einigen Zusammenhängen wird die abgeschlossene Initiation durch einen neuen Namen (z.B. Ordensnamen) oder Namenszusatz (Dr.) dargestellt. Konfirmanden werden Konfirmierte.
Über diese formale Annäherung an das Konzept "Konfirmation als Initiation" wird man sich über inhaltliche Ziele klar werden müssen:
Was sind die im Innern verborgenen Fähigkeiten, die wir entwickeln müssen, um in der modernen Welt erfolgreich und menschlich zu leben?
Weiterführende Literatur
- Karlfried Graf Dürckheim
- Manfred Josuttis: Die Einführung in das Leben