10. Sonntag nach Trinitatis
Israelsonntag
"Ekklesia und Synagoge"
(Straßburger Münster)
steingewordene Diffamierung
"Ekklesia und Synagoge"
(Straßburger Münster)
steingewordene Diffamierung
Der 10.Sonntag nach Trinitatis des christlichen Kirchenjahres
steht in zeitlicher Nähe zum
9. Aw des jüdischen Festkalenders.
Jeweils am 9. Tag der Monats Aw gedenken die Juden den Tempelzerstörungen in Jerusalem in den Jahren 586 v.C. und 70 n.Chr.
Es ist ein Tag der Volkstrauer, den man mit Fasten begeht. Am Morgen wäscht man sich nicht richtig, sondern benetzt nur mit den Fingerspitzen die Augen. Trifft man sich auf der Straße, grüßt man sich nicht mit freudigen Worten wie "Guten Tag" oder "Guten Morgen". Im Gottesdienst sitzt man auf niedrigen Schemeln; und liest die traurigen Kapitel aus den Klageliedern. Viele gehen an diesem Tag auf den Friedhof und halten Klage an den Gräbern ihrer Lieben.
Seit dem Mittelalter gehören die Festerzählungen des 9. AW, die Geschichten von der Zerstörung des Tempels auch zu gottesdienstlichen Lesungen des 10.Sonntag nach Trinitatis: Die Kirche hat das jüdische Fest aufgenommen, freilich lange Zeit mit der Sichtweise: Der Tempel ist zerstört, das Judentum ist abgelöst durch die neue Religion - das Christentum.
Aus den furchtbaren Erfahrungen des letzten Jahrhunderts hat die Kirche gelernt, dass das so nicht geht. Das Judentum ist in der Welt der Religionen unser älterer Bruder, der nicht von Gott enterbt wird, nur weil auch jüngere Brüder geboren werden. Der 10. Sonntag nach Trinitatis soll heute dazu dienen, das Verständnis des jüdischen Glaubens zu vergrößern und das Verhältnis der beiden verwandten Religionen zu vertiefen.
Biblische Lesung
zum 9. Aw (aus Psalm 74)
Gott, warum verstößest du uns für immer
und bist so zornig über die Schafe deiner Weide?
Gedenke an deine Gemeinde, die du vorzeiten erworben
und dir zum Erbteil erlöst hast,
an den Berg Zion, auf dem du wohnest.
Richte doch deine Schritte zu dem, was so lange wüst liegt.
Der Feind hat alles verheert im Heiligtum.
Sie sprechen in ihrem Herzen: Lasst uns sie ganz unterdrücken!
Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Lande.
Hoch sieht man Äxte sich heben wie im Dickicht des Waldes.
Sie zerschlagen all sein Schnitzwerk mit Beilen und Hacken.
Unsere Zeichen sehen wir nicht mehr,
kein Prophet ist mehr da, und keiner ist bei uns, der etwas weiß.
Interpretation
Widersprüche prägen die jüdische Kultur, die vor allem in der Kunst des Erinnerns besteht: Sich nicht nur vom Augenblick bestimmen lassen, sondern auch um das andere wissen: Was einmal war oder vielleicht wieder sein wird.
Das Jüdische Volk erinnert sich in seinen Festen: An die wunderbare Errettung beim Auszug aus Ägypten ebenso wie an die Bitterkeit der Sklaverei und den unsicheren Weg zur Freiheit. An die Zeit der großen Könige und den Bau eines zentralen Heiligtums in Jerusalem ebenso wie an die Katastrophe, die 586 v. C. mit Nebukadnezar über das Land hereinbrach, symbolisch verdichtet in der Zerstörung des Tempels.
Doch der 9. Aw erzählt auch von der zweiten Zerstörung des Tempels im Jahre 70 nach Christus. Die Römer hatten einen Aufstand in ihrer Provinz Palästina niedergeschlagen. Jerusalem wurde umbenannt in "aelia capitolana" und die Juden wurden aus ihrer eigenen Hauptstadt verbannt. Damit begann die Zeit der Heimatlosigkeit, die mit immer neuen Vertreibungen und Verfolgungen bis zur Staatsgründung 1948 andauerte. Die leidgetränkte Geschichte des Volkes Israel ist in jedem Fall darin einzigartig, dass ihre Kultur fast zwei Jahrtausende überdauerte ohne den Schutz einer eigenen Staatsmacht und eines Militärs.
In der Aufarbeitung des Holocausts, der Shoah, versucht die Kirche - wenn auch sehr spät -, einen gleichberechtigten Dialog mit dem Judentum zu führen. Das bringt tiefgreifende Infragestellungen mit sich, aber auch große Chancen eines Erkenntnisgewinns: Die Verwurzelung des christlichen Glaubens in jüdischen Traditionen wird neu entdeckt - schließlich war Jesus ein jüdischer Rabbi, der seine angestammte Religion niemals verlassen hat. Er hat zwar einige Vertreter zeitgenössischer jüdischer Strömungen kritisiert, aber es ist nicht anzunehmen, dass er Kirchenrepräsentanten weniger kritisch gegenüberstünde.
Vor allem aber kann sich das Christentum nicht mehr als allein seligmachenden Glauben verstehen. Natürlich können wir als Christen für uns weiterhin Jesus als "den" Weg, "die" Wahrheit und "das" Leben ansehen, aber wir müssen lernen, die Christus-Wahrheit auch in anderen Lebens- und Glaubensformen außerhalb der Kirche zu entdecken.
Lippoldsberger Taufstein: Jesus im Lehrgespräch mit Nikodemus (Joh 3)
Nikodemus ist gekennzeichnt mit einem Judenhut, wie ihn Andersgläubige (auch Ketzer und Hexen) im Mittelalter zeitweise tragen mussten; eigentlich hätte auch Jesus den spitzen Hut tragen müssen, aber das konnte man damals nicht denken.
Glaubensbekenntnis
Wir glauben an den einen Gott,
der Himmel und Erde geschaffen hat
und uns Menschen zu seinem Bild.
Er hat Israel erwählt,
ihm die Gebote gegeben
und seinen Bund aufgerichtet
zum Segen für alle Völker.
Wir glauben an Jesus von Nazareth,
den Nachkommen Davids,
den Sohn der Maria,
den Christus Gottes.
Mit ihm kam Gottes Liebe
zu allen Menschen,
heilsam, tröstlich
und herausfordernd.
Er wurde gekreuzigt
unter Pontius Pilatus,
aber Gott hat ihn auferweckt
nach seiner Verheißung,
uns zur Rettung und zum Heil.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der in Worten und Zeichen an uns wirkt.
Er führt uns zusammen
aus der Vielfalt des Glaubens,
damit Gottes Volk werde
aus allen Völkern
befreit von Schuld und Sünde,
berufen zum Leben
in Gerechtigkeit und Frieden.
Mit der ganzen Schöpfung hoffen wir
auf das Kommen des Reiches Gottes.
Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck 1993
Lied
Freunde, dass der Mandelzweig (EG 613)
1. Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?
2. Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.
3. Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.
4. Freunde, daß der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.
Schalom Ben-Chorin
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