Inzens - die Weihrauchstraße in den Himmel
4. Rationale Abwehr des Geruchssinns
Platon und Aristoteles lehnten den Geruchssinn ab. Seither wurde er immer wieder als ein primitiver, animalischer und bedürfnisgebundener Sinn betrachtet, den es zu überwinden galt.
Augustin schreibt im zehnten Buch seiner Bekenntnisse:
"An der Lockung von Wohlgerüchen ist mir nicht viel gelegen. Sind sie nicht da, so such ich sie nicht; sind sie da, so verschmäh ich sie nicht, aber ich wäre bereit, sie für immer zu entbehren. So kommt es mir vor; mag sein, dass ich mich täusche."
In der Neuzeit bezeichnete Kant das Riechen als einen undankbaren Sinn, der besser nicht zur Entfaltung gelange, weil von ihm mehr Unannehmlichkeiten als Genüsse ausgingen. Hegel verbannte ihn kategorisch aus der Ästhetik. Nur Einzelgänger wie Friedrich Nietzsche, der immer wieder versuchte, gegenüber der Alleinherrschaft der reinen Logik auch die Instinkte ins Recht zu setzen, sprachen sich für den Geruchssinn aus.
Wenn der Protestantismus einst die olfaktorische Dimension aus der Liturgie verbannt hat, so weil sie als Stimulans der irrationalen Seelenbereiche Manipulationsmöglichkeiten bot, die dem aufklärerischen Impetus evangelischer Frömmigkeit zuwiderliefen. Und tatsächlich ist der Riechsinn in seiner Begrenztheit problematisch:
"Die sprachliche Unfähigkeit, Geruchsempfindungen auszudrücken, würde den Menschen, wenn dieser Sinn vorherrschte, zu einem an die Außenwelt gefesselten Wesen machen." (Alain Corbin)
Ohne also die befreienden Impulse zu leugnen, die von Reformation, Aufklärung oder zuletzt von der Entmythologisierungsdebatte ausgingen, muss sich die evangelische Kirche jedoch selbstkritisch fragen, ob sie die "protestantische Nüchternheit" nicht auch als Schlagwort zur Entschuldigung für mangelnde Gestaltungskraft und ästhetische Unbeholfenheit des Glaubens missbraucht.
Nase zuhalten hilft -
nicht wirklich
Wenn der Geruchssinn zwar unbewusste, aber emotional tiefgreifende Wirkungen hat, kann man dieser Realität nicht entgehen; am allerwenigsten, indem man sich die Nase zuhält. Denn etwas zu ignorieren, obwohl man erkannt hat, dass die Verdrängung unbewusste und eventuell kontraproduktive Kommunikation bedeutet, wäre eine unverantwortliche Form der Naivität. Und so ist im Zusammenhang der derzeitigen "Aufklärung der Aufklärung" zu überlegen, ob die Verdrängung der Dimension der Gerüche aus dem heiligen Bereich nicht auf Dauer eine unzulässige Verengung bedeutet?
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