Inzens - die Weihrauchstraße in den Himmel
10. Weihrauch als Rauschmittel
Jesus lehnte den mit Myrrhe versetzten Wein ab, der ihm vor der Kreuzigung angeboten wurde (Mk 15,23). Es war bei solchen Hinrichtungen durchaus üblich, den Verurteilten ein Betäubungsmittel zu reichen, um ihr Schmerzempfinden herabzusetzen. Bevor es durch die Erfindung der Destillationstechnik im 13.Jh. möglich wurde, hochprozentigen Alkohol herzustellen, hatte man die betäubende Wirkung des Weins durch Zusatzstoffe zu verstärken gesucht.
Ähnlich wie wir es vom griechischen Retsina her kennen, wurden dem Wein v.a. geschmacksintensive Harze beigemischt; so z.B. Myrrhe und auch Weihrauch. Für das Harz des Weihrauchstrauchs Boswellia serrata wurde durch Tierversuche eine schmerzlindernde, also letztlich betäubende Wirkung inzwischen nachgewiesen.
Aus diesem Grund liegt die Frage nahe, ob Weihrauch in der Liturgie nicht nur unsere Sicht, sondern auch den Geist vernebelt. Parfumeure wissen, dass Wohlgerüche betörend wirken können; sie lassen einem Hören und Sehen vergehen, um "rein innere Empfindungsqualitäten zu entfesseln, die nie gesehene Bilder gebären" . Vielleicht ist das der Grund, weshalb der surrealistische Maler Salvador Dali behaupten konnte:
"Von den fünf Sinnen, die der Mensch besitzt, vermittelt der Geruchssinn zweifellos die beste Vorstellung von der Unsterblichkeit. Wichtiger als Sehen, Hören, Schmecken ist, von jedem Ding, von jedem Wesen den geheiligten Duft einzuatmen."
Orakel
Düfte haben also eine gewisse Affinität zum Visionären. Schon sprachlich besteht zwischen "Riechen", "Rauch" und "Rausch" eine tiefe Verwandtschaft, und auch die eigentlichen Riechstoffe, die "ätherischen" Öle, und der "Äthyläther", der zum Inbegriff für die narkotisierenden Mittel geworden ist, liegen nicht nur etymologisch nahe beieinander.
Die Religionen haben sich bisweilen der Kraft halluzinogener Riechstoffe bedient. In unserem abendländischen Kulturkreis steht uns die Anlage des delphischen Orakels vor Augen: Die Pythia saß über einer Erdspalte, aus der ein offenbar tranceinduzierender Rauch aufstieg.
Rituelles Rauchen von Drogen
Ein Beispiel aus dem Bereich des Hinduismus bieten die Saddhus, zu deren Shiva-Verehrung es gehört, an heiligen Plätzen und zu bestimmten Festzeiten Marihuana zu rauchen (wobei es - zumindest der ursprünglichen Intention nach - nicht um privaten Genuß, sondern um eine Divinationstechnik geht).
Auch im Zentrum der christlichen Liturgie steht ein Rauschmittel: der Wein, Erbe aus dem jüdischen Passaritual. Wenn Jesus auch Wein als Mittel zur Betäubung seiner Leidenswirklichkeit abgelehnt hat (s.o.), so hat er sich, was den kultischen Bereich angeht, (von der Hochzeit zu Kana über seine eschatologisch aufgeladenen Mahlfeiern hin bis zum letzten Abendmahl) keineswegs abstinent gezeigt.
Drogen haben also - natürlich rituell gebunden - eine gewisse religiöse Tradition , die bis in den Gottesdienst der Kirche hineinreicht.
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