Inzens - die Weihrauchstraße in den Himmel
13. Unwirksame Reinigunsriten?
Nietzsche deutet an, an welcher Stelle des religiösen Kults eine Kultur des Vergessens ihren Ort haben müsste: im vorbereitenden Sündenbekenntnis.
Gerade an diesem Punkt haben die Kirchen derzeit keine überzeugende Hilfe mehr anzubieten. Der verbale Beichtmechanismus von Schuldbekenntnis und Zuspruch der Vergebung greift bei den meisten Menschen nicht mehr. Die wirkungsgeschichtlich bedingte "Kontaminierung" des Sündenbegriffs ist dabei sicherlich einer der Gründe, das Fehlen eines wirklich erfahrbaren Befreiungsrituals ein anderer.
Prozesse des Vergessens sind eher auf körperlichem als auf sprachlichem Wege zu induzieren. Drogenstoffe wie die Weihräucherung können dabei ebenso eine Hilfe sein wie monotone Musik und Tanz - also Gestaltungselemente, die traditionell im kultischen Bereich beheimatet waren, aber (mit Ausnahme der Musik) in der gegenwärtigen Liturgie kaum entwickelt sind.
Tanz - Ekstase
Wo die offiziellen Religionsinstitutionen versagen, wandert die Religiosität ab: z.B. in die Techno-Tempel, wo junge Leute, die tagsüber hochrationale Arbeiten etwa an Computern durchführen, sich nachts in Tanzrituale versenken und auflösen.
Es müssen dabei gar keine Drogen wie Ekstasy im Spiel sein. Selbst die Rauschzustände, die man bei ekstatischem Tanz oder auch im Zuge sportlicher Anstrengungen (sogar unterhalb des Levels von Endorphinausschüttungen) erleben kann, erfüllen die reinigende Funktion eines selbsttranszendierenden Vergessens.
Problematisch ist das nur insofern, als sich die Reinigungsrituale damit von den äternisierenden Mächten gelöst haben. Wenn Vergessen ein heikler Vorgang ist, bei dem unstrukturierte und deshalb gefährliche Bereiche eröffnet werden, muss die Funktion des sichernden Erinnerns auf irgendeine Weise gewährleistet sein.
Sowohl kirchliche als auch psychoanalytische Lehre stimmen darin überein, dass erinnernde Bewusstmachung eine Vorraussetzung für befriedetes Vergessen ist.
Was nur ins Unbewusste abgedrängt wird, kann nur immer wieder betäubt, aber nicht eigentlich vergessen werden. Wenn aber etwas dem befriedeten Vergessen anheim gegeben werden kann, dann sollte sich dieser Prozess im Bannkreis des Heiligen und im Licht der Öffentlichkeit vollziehen.
Rauschhafte Elemente wären im Kontext einer verantworteten Religion sehr viel harmloser, als dort, wo sie jetzt angesiedelt sind, nämlich abgedrängt in die Verborgenheit der Privatsphäre, wo sie den Schutzmechanismen zumindest des großen Kults entzogen sind.
Wenn individuelles Vergessen und kollektives Erinnern nicht mehr in Beziehung treten, ist das für den Bestand der politischen Welt wie für die Kirche in gleicher Weise gefährlich.
Zusammenfassung
Die vielen Worte sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weihrauch nur ein kleines Detail im großen Spiel der Liturgie ist. Aber immerhin ist es ein Stoff, der in affektiver, körperlicher und geistiger Hinsicht eine reinigende Wirkung besitzt.
Im Folgenden werden praktische Anwendungsmöglichkeiten beschrieben.
[ zurück zu "Rituale" | Übersicht | weiter ]