Buß- und Bettag
Bußtage gab es immer wieder mal zu ganz verschiedenen Zeiten des Kalenders. Die kirchliche Tradition kannte Bußtage zur Vorbereitung auf die großen Feste. Aber es gab auch verschiedene staatlich begründete Bußtage, die dem Gedenken an Kriege oder andere Katastrophen dienten.
Der Buß- und Bettag zwischen Volkstrauertag und Totensonntag war ein solcher politisch motivierter Tag. Was der preußische König 1893 eingeführt hatte, konnte Kanzler Helmut Kohl rund 100 Jahre später natürlich wieder abschaffen. Interessant ist, dass die Aufhebung des gesetzlichen Schutzes für den Buß- und Bettag etwa zeitgleich mit der Einführung des 3. Oktober (anstelle 17. Juni) als "Tag der Deutschen Einheit" geschah. Offenbar sahen die Politiker mehr Anlass, sich zu feiern als Buße zu tun.
Die evangelische Kirche hat den Buß- und Bettag beibehalten. Denn wenn die kirchliche Bußtradition auch oft nicht mehr verstanden wird, ist das zugrunde liegende Problem der Schuld doch allgegenwärtig.
Vielleicht hat sich aber der Charakter des Buß- und Bettags vom Gesellschaftlichen ins Private verschoben. Mit dem Bekennen von Schuld ist der Buß und Bettag eine realistischerweise notwendige Ergänzung zum Erntedankfest.
Sich von Gott unterbrechen lassen
in allzu gewohnten Gedanken,
in festgesetzten Vorurteilen,
in fruchtlosen Auseinandersetzungen -
Sich dem eigenen Leben stellen,
seine Dunkelheiten aushalten,
auf Erklärungen verzichten -
Nicht auf eigene Leistung setzen,
sondern auf Gott hoffen,
dem Leben trauen -
- das kann Buße sein.
Biblische Lesung
Micha 6, 8
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert:
Nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Bußübung
Interpretation
"Gottes Wort halten"
In den Gottesdiensten am Buß- und Bettags werden oft die 10 Gebote verlesen - als Erinnerung an die schlichten Lebensregeln, die für ein Zusammenleben nötig sind.
"demütig sein vor deinem Gott"
Gerade weil Christen um die Gebote wissen, ist nicht moralische Anständigkeit ihr Kennzeichen. Die Konfrontation mit dem großen Ideal macht immer auch die eigenen Abgründe bewusst. Denn niemand ist so gut, dass er sich stets und ständig richtig verhalten würde. Und wer diesen Anspruch für sich erhebt, wird sich als unbarmherzig gegen andere erweisen. Realistisch betrachtet haben wir allen Grund, demütig zu werden, eigene Fehler zu erkennen und zu benennen. Buße tun heißt "den Sinn ändern", den Anspruch loslassen, selbst die Welt besser zu machen; aber im Vertrauen leben, dass Gott es zurechtbringen wird.
"Liebe üben"
Befreit von dem hohen Anspruch, kann es geschehen, dass wir die Gebote Gottes leben - nicht als Erfüllung eines Gesetzes sondern von innen her. Wenn wir uns selbst als geliebt erfahren, können wir von dieser Liebe weitergeben. Was wir aus freiem Herzen tun, kann eine positive Wirkung entfalten.
Gedicht
Es steht noch dahin
Ob wir davonkommen, ohne gefoltert zu werden,
ob wir eines natürlichen Todes sterben,
ob wir nicht wieder hungern
und die Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen,
ob wir getrieben werden in Rudeln, wir haben's gesehen.
Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen,
den Nächsten belauern, vom Nächsten belauert werden,
und beim Wort Freiheit weinen müssen.
Ob wir uns fortstehlen, rechtzeitig auf ein weißes Bett
oder zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz,
ob wir es fertigbringen, mit einer Hoffnung zu sterben,
steht noch dahin, steht alles noch dahin.
M.L. Kaschnitz
Gedanke
Nichts bestimmt so sehr, wie wir sein werden, wie die Dinge, die wir zu ignorieren beschließen.
Brauchtum
Ein Vorbild des christlichen Buß- und Bettags ist das jüdische Versöhnungsfest "Yom Kippur", das ebensfalls in die Herbstzeit fällt. Es ist ein strenger Fasttag, der der inneren Reinigung der Gläubigen gewidmet ist. Auch hier sind Bekennen und Bereuen der Schuld die Voraussetzung für göttliche Vergebung.
Yom Kippur
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