16. Sonntag nach Trinitatis
Auferstehung
Zu den von Gegensätzlichkeit geprägten Herbstthemen gehört - ebenso wie in der anderen Übergangszeit, dem Frühling - der spannungsvolle Zusammenhang von Tod und Auferstehung. Der Akzent liegt aber nun, anders als im Frühjahr, nicht auf der Konfrontation mit dem eigenen Tod (im Spiegel des Gekreuzigten), sondern auf der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Trauer.
Gedicht
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tod derer, die mir nahe sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.
Mascha Kaléko
Evangelium
Die Auferweckung des Lazarus (Joh 11; gekürzt)
Es lag krank, Lazarus aus Betanien, der Bruder von Maria und Schwester Marta. Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du liebhast, liegt krank.
Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen und sprach zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird - bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Da ging Jesus zu dem Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor.
Und Jesus sprach: Hebt den Stein weg!
Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen.
Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?
Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Und als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen!

Die Auferweckung des Lazarus
Interpretation
Eine komplizierte Geschichte. Noch dazu in dieser gekürzten Version voller Einwände und Widerstände, die nur zum Teil dem verquasten Stil des Evangelisten Johannes zuzuschreiben sind.
Es sind Regungen der Trauer, die gegensätzlichste Reaktionen hervorbringt. Vorwurfsvolles Aufbegehren gegen den Tod (Wärst du dagewesen, ...!) wechselt mit resignativem Realismus (Er stinkt schon.). Doch Martas starke Gemütsbewegungen neutralisieren sich selber, halten die Trauernde fest in dem Rahmen, der durch die Trauer abgesteckt ist.
Jesus hingegen weist in die Richtung Zukunft. Er will die Menschen lösen aus den Bindungen durch Vergangenes, will sie öffnen für die weiten, ungeahnten, unverstellbare Möglichkeiten, die Lebens immer wieder für uns bereithält: "Du wirst die Herrlichkeit Gottes sehen."

Die von Hollywood oft vermarktete Horrorphantasie der "lebendigen Toten" ist eigentlich ein Bild für die lebensgefährdende Kluft unbewältiger Trauerprozesse.
Liturgisches Brauchtum
Zuweilen hat man die letzten Wochen des Kirchenjahres mit ihren dunklen Themen als eine "Passionszeit der Herbstes" verstanden, was in der Platzierung des "Festes der Schmerzen Mariens" am 15. September seinen Ausdruck fand.
Die bestimmte Zahl der Schmerzen variierte ursprünglich, wurde aber dann auf folgende sieben Schlüsselereignisse im Neuen Testament festgelegt:
- an Simeons Prophezeiung im Tempel
- Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten
- Suche nach dem zwölfjährigen Jesus
- Begegnung Mariens mit Jesus auf dem Kreuzweg
- Kreuzigung und dem Tod Jesu
- Kreuzabnahme
- Grablegung Jesu

Pieta - die leidende Mutter Maria
Die Pietá-Darstellung, auch Vesperbild genannt (von lat. vesper = Abend), ist der wohl deutlichste Ausdruck des Charakters dieser herbstlichen Leidenszeit.
Die Szene der trauernden Maria, die ihren toten Sohn auf Schoß hält, ist nicht biblischen Ursprungs, sondern beruht auf der religiösen Dichtung des 12./13. Jh. Das Motiv gibt die vielleicht tiefsten Abschiedsschmerzen, den Verlust eines Kindes, wider und wurde vielen Menschen zum Spiegel eigener Trauererfahrungen.
Zugleich ist die Pietá auch ein Bild der Geborgenheit, denn der Mutterschoß Mariens verweist auch auf den Schoß der Mutter Erde, der den Leichnam bergend aufnimmt.
Ergreifend sind auch die Kompositionen über das Thema der "Stabat Mater", die die Schmerzen der Mutter Gottes in eindringlichen Worten und Klängen beschreiben.
Gedicht
So still in den Feldern allen,
der Garten ist lange verblüht,
man hörte flüsternd die Blätter fallen,
die Erde schläft - ich bin so müd.
Es schüttelt die welken Blätter der Wald,
mich friert, ich bin schon alt,
nun kommt der Winter und fällt der Schnee,
bedeckt den Garten und mich und alles, alles Weh.
Joseph Freiherr von Eichendorff
[ Zurück zu "Zeiten" | weiter ]