Gründonnerstag
Der Gründonnerstagabend ist ein besonders ruhiger Abend.
Man spürt schon den großen Ernst des kommenden Karfreitags,
aber noch ist nicht alles gelähmt vor Entsetzen.
Noch kann man in aller Ruhe etwas tun.
Jesus hat eine Menge getan an diesem Abend,
und alles geschah zu seiner Zeit, ohne Hast, in tiefer Sammlung.
Evangelium
Die Fußwaschung (Joh 13,1-15)
Als das Passafest herankam, erkannte Jesus,
dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ging:
Und vor dem letzten Abendessen stand Jesus vom Tisch auf,
legte sein Obergewand ab,
nahm einen Schurz und umgürtete sich.
Danach goss er Wasser in ein Becken,
und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen,
und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
Die Fußwaschung
Da kam er zu Simon Petrus;
der sprach zu ihm:
Herr, solltest du mir die Füße waschen?
Jesus antwortete und sprach zu ihm:
Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht;
du wirst es aber später verstehen.
Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr
sollst du mir die Füße waschen!
Jesus antwortete ihm:
Wenn ich dich nicht wasche,
so hast du kein Teil an mir.
Spricht zu ihm Simon Petrus:
Herr, dann nicht die Füße allein,
sondern auch die Hände und das Haupt!
Spricht Jesus zu ihm:
Wer gewaschen ist, bedarf nichts,
als dass ihm die Füße gewaschen werden;
denn er ist ganz rein.
Als er nun ihre Füße gewaschen hatte,
nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder
und sprach zu ihnen:
Wisst ihr, was ich euch getan habe?
Ihr nennt mich Meister und Herr
und sagt es mit Recht,
Denn ich bin's auch.
Wenn nun ich, euer Herr und Meister,
euch die Füße gewaschen habe,
so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.
Ein Beispiel habe ich euch gegeben,
damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
Interpretation
Jesus hat diesen Abend genutzt,
um von den Schülern Abschied zu nehmen
und sie vorzubereiten auf seinen Tod.
Sie werden den nächsten Tag anders erleben als er, das wusste Jesus.
Er wird sich hingeben, sie aber werden ihn verlieren.
Sie werden eine Herde ohne Hirte sein.
Verunsichert, ängstlich, traurig. Aber kann es anders sein?
Solange er da ist, werden sie immer Schafe bleiben,
sie werden nicht selbst den Sprung ins Leben wagen,
sondern sich nach ihm richten, zu ihm aufschauen.
Darum muss er weg. Niemand darf sich auf Dauer über andere stellen.
Was oben war, muss wieder nach unten.
Das macht Jesus seinen Schülern mit der Fußwaschung deutlich:
Er will nicht über sie herrschen,
sondern, mit allem was er tat, wollte er ihnen dienen.
Er geht den Weg der Demut, den auch seine Jünger gehen sollen.
Im Kirchspiel Lippoldsberg wäscht der Pfarrer am Gründonnerstag den Konfirmanden die Füße. Das Ritual ist Teil ihrer ersten Abendmahlsfeier, die in der kleinen Waldenserkirche zu Gewissenruh stattfindet.
Evangelium
Das Abendmahl (Lk 22,14-20)
Als die Stunde kam, setzte Jesus sich nieder und die Apostel mit ihm.
Und er sprach zu ihnen:
Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide.
Denn ich sage euch, daß ich es nicht mehr essen werde,
bis es erfüllt wird im Reich Gottes.
Und er nahm den Kelch, dankte und sprach:
Nehmt ihn und teilt ihn unter euch; denn ich sage euch:
Ich werde von nun an nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks,
bis das Reich Gottes kommt.
Und er nahm das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach:
Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.
Desgleichen auch den Kelch nach dem Mahl und sprach:
Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird!
Interpretation
Das letzte Abendessen.
Sie hatten so oft miteinander gegessen.
Aber dieses letzte Essen war tiefer,
war - eine Einweihung in ein Geheimnis.
Jesus feierte das Passafest mit seinen Jüngern,
das Fest, an dem sein Volk der Befreiung aus der Sklaverei gedachte.
Jesus erkannte sein Schicksal in dem des Passalamms wider,
sah dem kommenden Tag aber auch als Tag seiner Befreiung entgegen.
Sein Tod war ein Opfer, ein Verzicht auf Gewalt und Widerstand,
aber es war kein Sühnopfer, das andere irgendwie erlösen könnte.
Und doch war es ein Tod für andere: ein Zeichen, eine letzte, tiefste Lehre.
Jesus hinterließ seinen Schülern mit dem Abendmahl etwas: eine Andenken.
Morgen werde ich meinen Weg gehen, sagte Jesus, den Weg des Leidens,
den jeder irgendwann gehen muss.
Ich werde ihn gehen, ohne mich aufzulehnen.
Aber ihr werdet mich suchen.
Dann - so sagte er und nahm ein Stück Brot vom Tisch - findet ihr mich hier:
Wenn ihr zusammensitzt und esst. Ich bin nicht anders als jedes Stück Brot.
Das sträubt sich nicht; es gibt sich hin, damit andere leben.
Aufbruch vom Abendmahl
Ich bin nicht anders als dieser Wein aus Trauben.
Die Trauben genießen die Sonne,
aber dann verströmen sie sich, damit andere daran Freude haben.
Eins lebt vom anderen.
Alles muss sich hingeben, damit das Leben weiterfließt.
Hingabe - das ist die Lebensbewegung, die Gott in diese Welt gelegt hat.
Ich unterscheide mich in nichts von dieser Bewegung der Hingabe.
Darum werde ich auch nicht verloren gehen, selbst wenn ich sterbe.
Ihr könnt mich überall finden, wenn ich gestorben bin:
Im Fließen einer Quelle, in einem Stück Brot, in einem Augen-Blick.
Das Leben wird weit, unzerstörbar und ewig,
wenn man aufhört, es festhalten zu wollen.
Lied
Wer leben will wie Gott auf dieser Erde (EG 546)
1. Wer leben will wie Gott auf dieser Erde,
wer leben will wie Gott auf dieser Erde,
muß sterben wie ein Weizenkorn,
muß sterben, um zu leben.
2. Er geht den Weg, den alle Dinge gehen.
Er geht den Weg, den alle Dinge gehen,
er trägt das Los, er geht den Weg,
er geht ihn bis zum Ende.
3. Der Sonne und dem Regen preisgegeben.
Der Sonne und dem Regen preisgegeben,
das kleinste Korn in Sturm und Wind
muss sterben, um zu leben.
4. Die Menschen müssen füreinander sterben.
Die Menschen müssen füreinander sterben.
Das kleinste Korn, es wird zum Brot,
und einer nährt den andern.
5. Den gleichen Weg ist unser Gott gegangen.
Den gleichen Weg ist unser Gott gegangen,
und so ist er für dich und mich
das Leben selbst geworden.
Liturgisches Brauchtum
Kaum ein anderer Tag des Jahres ist so sehr geeignet, um ihn mit einer Vigil zu begehen. Jesus selbst hat seine Jünger dazu aufgefordert: "Wachet und betet!" (Mt 26,41). Wachen meint hier ohne Zweifel mehr als nur einen Zustand von Nicht-Schlafen. Es geht um Achtsamkeit, die in der Tiefe wahrzunehmen vermag, was geschieht. Nicht Reflexion, sondern meditative Betrachtung entspricht dem Wesen der Nacht.
Elemente einer Liturgische Nacht am Gründonnerstag könnten sein:
- Zusammenfinden
- Fußwaschung
- Kreuzweg (als Bewusstmachung des Kommenden)
- Abendmahl
- Nachtwache (die eine nächtliche Wanderung zum "Garten Gethsemane", Kreuzesbetrachtung, mantrisches Beten, aber auch Schlaf umfassen kann)
Fußwaschung in der Klosterkirche Lippoldsberg
Gebet
Sonne muss scheinen und Regen fallen,
damit ich lebe.
Obst wird geerntet, Gemüse geschnitten,
damit ich lebe.
Tiere werden geschlachtet,
damit ich lebe.
Menschen geben ihre Arbeit, ihre Liebe,
damit ich lebe.
Ich danke dir, Gott, dass du dich hingibst,
damit ich lebe.
Gedicht
Der Ölbaum-Garten
Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.
Nach allem dies. Und dieses war der Schluss.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, dass ich sagen muss
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.
Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.
Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham...
Später erzählte man: ein Engel kam - .
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.
Die Nacht, die kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.
Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schoß.
Rainer Maria Rilke
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