Karfreitag
Ein Tag, dessen stille Ausstrahlung sich dem gesellschaftlichen Leben mitteilt, sicher auch, weil er unter einem besonderen rechtlichen Schutz steht.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, Karfreitag sei der höchste evangelische Feiertag. Eine Einschätzung, die aus Zeiten konfessioneller Abgrenzung stammt, aber liturgisch nicht zu halten ist. Für die Christenheit ist die Auferstehung und damit das Osterfest das zentrale Ereignis, allerdings sind Karfreitag und Ostern in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis miteinander verbunden.
Der Christuskörper in der Klosterkirche wurde nach dem 2. Weltkrieg von Wilhelm Hugues mit Metallresten aus dem Kasseler Henschelwerk geschaffen. Es ist nicht der Typus des leidenden, am Kreuz lastenden Schmerzensmanns, sondern - romanischen Vorbildern entsprechend - der auferstandene und herrschende Christus, der vor dem Kreuz zu schweben scheint.
Evangelium
Der Tode Jesu (Lk 23,39 ff.)
Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach:
Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
Da wies ihn der andere zurecht und sprach:
Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott,
der du doch in gleicher Verdammnis bist?
Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen,
was unsre Taten verdienen;
dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir:
Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Und es war schon um die sechste Stunde,
und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
und die Sonne verlor ihren Schein,
und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Interpretation
Gerade im Hinblick auf das zentrale Symbol des Kreuzes kann man sehen, wie sich lebendiger Glaube wandelt. Während die Evangelien schlicht Berichte des Leidens Jesu sind und nichts von einem Sühnecharakter des Opfertods erkennen lassen, wird doch gerade diese Deutung lange Zeit vorherrschend:
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, gib uns deinen Frieden.
Max Spring (Schweiz) - Hammer und Nagel
Diese kleine Vers des "Agnus Dei" umfasst ein ganzes mythologisches Drama:
Die Menschheit, die durch ihre Schuldhaftigkeit dem Tod verfallen ist, wird den vor dem tödlichen Zorn Gottes gerettet durch das Selbstopfer der schuldlosen Gottessohnes.
Wer sich auf diesen Mythos einlässt, erkennt sich als Mensch in eine realistische Spannung gestellt: Einerseits wird er mit der ernsten Problematik menschlicher Schuld konfrontiert, andererseits erfährt er von der Gnade Gottes, der bereit ist sich selbst aufzugeben, um das weitere Leben zu ermöglichen.
Der Gedanke des Sühnopfers wurde zunehmend problematisch, als die Religion im Ausgang des Mittelalter zur individuellen Sache werden begann.
Unterm Kreuz
Jetzt war es nicht mehr das Menschheitskollektiv, das in Adam seine Schuldverstricktheit und in Christus einen Ausweg in ein befreites Leben erkannte.
Jetzt war es das einzelne Subjekt, das mit seinem vergleichsweise banalen Sünden die kosmische Katastrophe des Todes Christi zu verantworten hatte. Was als Befreiung gedacht war, wurde nun zur Belastung: Das Christentum bekam einen bedrückenden Zug.
Im Laufe des letzten Jahrhundert haben sich neue Deutungsmöglichkeiten des Kreuzes und damit des Karfreitags aufgetan. Man kann heute den Blick auf das Kreuz als eine Art Seelenspiegel verstehen:
- Ich kann im Bild des leidenden Jesus einen Ausdruck meines persönlichen Leidens finden, d.h. mich selbst in Christus gespiegelt finden.
- Ich kann in der Passionsgeschichte auch einen Ausdruck meiner persönlichen Schuld erkennen, indem ich mich mit den Randfiguren identifiziere; Leid und Verstrickung in Schuld hängen zusammen.
- Ich kann im freiwillig leidenden Christus, wenn ich ihn als Bild des wahren Lebens akzeptiere, einen Ausweg aus der Leid/Schuldverstrickung entdecken. Denn ich finde nicht nur mein Leid, meine Schuld in der Passionsgeschichte ausgedrückt, sondern kann - das ist die andere Seite des Spiegels - Christus auch als mein verborgenes Selbst entdecken: das göttliche Leben in mir, das immer wieder aufersteht, wenn es bereit ist, sich hinzugeben.
Lied
Allein (Reinhard Mey)
Er drang mir in die Seele, weiß Gott, wie er mich traf,
der Spott der guten Kinder; ich war das schwarze Schaf.
Im Pausenhof, die Tränen niederkämpfend, stand ich stumm,
der Inhalt meines Ranzens lag verstreut um mich herum.
Wie wünscht ich mir beim Aufsammeln eine helfende Hand,
ein Lächeln, einen Trost, doch da war keiner, der sich fand.
Ich hatte keinen Freund und schlechte Noten, ist ja wahr,
und unmoderne Kleider und widerspenst´ges Haar.
Refrain: HÖREN
Allein. Wir sind allein. Wir kommen und wir gehen ganz allein.
Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein.
die Kreuzwege des Lebens geh´n wir immer ganz allein
Allein. Wir sind allein. Wir kommen und wir gehen ganz allein.
Wir war´n uns alle einig in dem großen Saal,
wir hatten große Pläne und ein großes Ideal.
Ich war der Frechste und der Lauteste und hatte Schneid;
ich wusste: unsere Stärke war unsre Geschlossenheit.
Doch mancher, der von großer, gemeinsamer Sache sprach,
ging dabei doch nur seiner kleinen eig´nen Sache nach.
Und als sich ein Held nach dem andern auf die Seite schlich,
stand einer nur im Regen; und der eine, der war ich.
Und noch ein Glas Champagner, und sie drückten mir die Hand,
und alle waren freundlich zu mir, alle war´n charmant.
Und mancher hat mir auf die Schulter geklopft, doch mir scheint,
es hat wohl mancher eher sich, als mich damit gemeint.
Die Worte wurden lauter, und sie gaben keinen Sinn,
das Gedränge immer enger, und ich stand mitten drin
und fühlte mich gefangen, wie ein Insekt im Sand:
Je mehr es krabbelt, desto weiter rückt der Kraterrand.
Nun, ein Teil meines Lebens liegt hinter mir im Licht,
von Liebe überflutet, gesäumt von Zuversicht.
In Höhen und in Tiefen, auf manchem verschlungnem Pfad
fand ich gute Gefährten und fand ich guten Rat.
Doch je teurer der Gefährte, desto bitterer der Schluss,
dass ich den letzten Schritt des Wegs alleine gehen muss.
Wir sehr wir uns auch aneinander klammern, uns bleibt nur
die gleiche leere Bank auf einem kalten, leeren Flur.
Gedanken
Stark wie der Tod ist die Liebe
Auf Golgatha standen sich Liebe und Hass zum Endkampf gegenüber - jeder sollte seine Macht zeigen.
Und der Hass fuhr auf mit allen seinen Waffen: Verachtung, Entehrung, grausamste Folterung, mit allen Gemeinheiten des Schimpfes, der Lästerung, mit Quälen von Geist, Seele und Leib, und erfuhr auf mit der Waffe des Tötens - alle Waffen setzte er in Kraft.
Nun sollte die Liebe antworten, und sie tat es, indem sie blutete aus Leib, Seele und Geist und ihr Leben willig in den Tod gab, ohne dass der Hass eine kleinste Regung des Gegenhasses, ja des Vorwurfs hervorrufen konnte, obwohl er alles daransetzte, dass dies geschah. Doch es geschah nicht - die Antwort war Dulden, Erleiden, Vergeben, Heilen.
So lief der Hass sich an der Liebe tot, und sie konnte ausrufen:
"Es ist vollbracht!"
(Mutter Basilea Schlink: Evangelische Marienschwesterschaft Darmstadt)
Brauchtum
Sehr alt ist der Brauch des Fastens am Karfreitag, der auch auf besondere Essgewohnheiten (kein Fleisch, nur Fisch) an den übrigen Freitagen des Jahres ausgestrahlt hat.
Eindruckvolle Formen liturgischen Verzichts sind das vollständige Abräumen und Entkleiden des Altars und das Schweigen der Glocken von Karfreitag bis zum Ostermorgen.
Die naheliegendste Festgestalt des Karfreitags ist, schlicht die Passionsgeschichte nachzuvollziehen, wie dies in Jerusalem in Gestalt der Kreuzwegandacht schon sehr früh geschah. Während gegenüber szenischen Darstellungen meist eine gewisse Zurückhaltung waltete, hat sich gerade auch in der evangelischen Kirche eine starke Tradition musikalischer Passionsaufführungen entwickelt, bei denen die verschiedenen Rollen auf Chöre und Solisten verteilt werden.
Im Kirchspiel Lippoldsberg wird am Karfreitag Vormittag die gesamte Passion eines Evangelisten gelesen (um 10 Uhr in der Waldenserkirche Gewissenruh), während am Nachmittag zur Todesstunde Jesu (um 15 Uhr in der Klosterkirche Lippoldsberg) eine Passionsmusik aufgeführt wird.
In anderen evangelischen Gemeinden wird der Karfreitag oft mit einem Buß- und Bittgottesdienst mit sehr ausführlichen und eindrücklichen Fürbitten begangen. Wenn in einigen evangelischen Gemeinden gerade an diesem Tag Abendmahl gefeiert wird, dann in der Regel nur, weil am Gründonnerstag kein Gottesdienst stattfindet. Traditionell ist der Karfreitag kein Abendmahlstermin.
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