Invokavit
1. Sonntag der Passionszeit
Die geheimnisvoll klingenden, lateinischen Namen der Fastensonntage sind schlicht dem Anfang des Psalms entnommen, der an dem betreffenden Sonntag im Gottesdienst gelesen wird. Der Name des Sonntags "Invokavit" z.B. bedeutet "Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören spricht der Herr; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen." (Ps 91,15)
Evangelium
Jesu Versuchung (Mt 4,1-11)
(Nach seiner Taufe) wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Jesus aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht."
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): "Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt." Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen."
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): "Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen."
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Theophanes - Die Versuchung Jesu
Wandmalerei Kloster Agios Nicolaos Anapavsas
Interpretation
Nachdem in der Karnevalszeit "der Teufel los war", wird die chaotische Macht des Diabolos (Durcheinanderwerfers) am 1.Sonntag der Passionszeit wieder begrenzt. Der zentrale Text dieses Sonntags bannt den Teufel, indem er ihn zum Thema macht.
Nach allem einschüchternden Missbrauch, der gerade seitens der Kirche mit der Teufelsgestalt getrieben wurde, ist es verständlich, wenn viele ihn heute gern in die Spielkiste mit Fabelwesen und anderen Kindheitserinnerungen der Menschheit verbannen möchten. Wer aber, auf dieser Kiste sitzend, ein wenig ausruht, wird bald erstaunt feststellen: "Den Teufel sind wir los; die Teufel sind geblieben."
Die Gestalt des "Teufel" ist ein symbolischer Ausdruck für eine Realität, die es, zumindest dem menschlichen Erleben nach, durchaus gibt. Die biblischen Geschichten versuchen, das Wesen und die Wurzeln des Unheils aufzudecken. Und das Angesicht des Teufels, das dabei zutage tritt, ist nicht so grotesk wie unsere wilden Phantasien. Die monströsen Teufelsfratzen lenken oft davon ab, dass es eigentlich um sehr subtile Einstellungen geht. Die Versuchungen, die Jesus in seiner Wüstenzeit als unheilvolle Haltungen in sich entdeckt, sind die Gier nach Brot, nach Anerkennung und nach Macht. Erst nachdem man solche Einstellungen in sich entdeckt und sie bewusst wahrgenommen hat, kann man sie "in die Wüste" schicken.
Jesus und sein Schatten - Annegret Fuchshuber, Kinderbibel
Die Geschichte vom Sündenfall (1.Mose 3), die ebenfalls zu den Lesungen dieses Sonntags gehört, erzählt davon, dass der Teufel etwas mit dem Erwachen des menschlichen Bewusstseins zu tun hat. Es ist nicht ein banaler Apfelbaum, von dem die Schlange Eva zu essen überredet. Auch nicht um den Apfel der Aphrodite, wie es die verklemmte Tradition der Kirche oft dargestellt hat, um Sexualität als "die" Ursünde zu brandmarken. Sondern es geht um "Früchte vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse".
Dieser Baum der Erkenntnis wurde von Gott selbst geschaffen und wohl nicht ganz ohne Hintergedanken in die Mitte des Gartens gestellt worden. Der Sündenfall ist also kein Zufall, auch kein Unfall. Die Geschichte markiert durchaus einen Fortschritt in der menschlichen Entwicklung, aber einen, der einen leidvollen Preis hat. Mit dem Verlust der paradiesischen Naivität zerfällt die Welt in einzelne Teile, von denen wir die einen suchen und die anderen (meist die Leidvollen) meiden.
Das ist nun typisch teuflisch. Denn teuflisch sind jene Denkweisen, die uns auf Teilbereiche des Lebens fixieren wollen und vom Großen, Ganzen Gottes abziehen. Der biblische Teufel ist kein dunkler Gegengott, sondern selbst eine der Schöpfungen Gottes, die den Aufstand probt, sich verabsolutieren will, damit aber letztlich scheitert. Wegen der furchtbaren Folgen, die das gespaltene Bewußtsein der Menschen hervorbringt, ist es gut sich - wie Jesus in der Wüste - hin und wieder einmal mit dem Teufel auseinander zu setzen, zumal am Anfang der Passionszeit. Aber man sollte gelassen bleiben und ihm nicht zuviel Beachtung schenken.
Lied
EG 362,3
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen:
Der Fürst dieser Welt,
wie sau´r er sich stellt,
tut er uns doch nicht(s),
das macht er ist gericht´:
ein Wörtlein kann ihn fällen.
aus Martin Luthers "Ein feste Burg ist unser Gott"
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