Judika
5. Sonntag der Passionszeit
Der Name "Judika" (Richte) geht zurück auf den Anfang des Sonntagspsalms
"Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache wider das unheilige Volk." Ps 43,1
Nachdem am Sonntag Lätare das Mittfasten gefeiert wurde, beginnt mit dem Sonntag Judika die dramatische Phase der Passionszeit.
Biblische Lesung
(Gen 22, 1 ff.)
Gott versuchte Abraham und sprach: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und Gott sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.
Abraham's Opfer - 1583
Biblische Lesung
(Hebr 5,7-9)
Jesus hat in den Tagen seines irdischen Lebens
Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen
dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte;
und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.
So hat er, obwohl er Gottes Sohn war,
doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.
Und als er vollendet war,
ist er für alle, die ihm gehorsam sind,
der Urheber des ewigen Heils geworden.
Interpretation
Die große Geschichte von Isaaks Opferung, die zu den Lesungen des Sonntags Judika gehört, wirft stets mehr Fragen auf als sie beantwortet. Was ist das für ein Kind, das sich seinem Vater ausliefert? Was ist das für ein Vater, der das Leben seines Sohnes zu opfern bereit ist? Was ist das für ein Gott, der den Tod will? Man mag es drehen und wenden - auch wenn am Ende anstelle von Isaak ein Tier geopfert wird, man kann Gott nicht die Verantwortung für den Tod absprechen. Wenn "Gott" für die allesumfassende Wirklichkeit steht, dann ist Gott auch ein Gott, der tötet.
Wir mögen uns dagegen auflehnen, uns das Leben anders wünschen - aber es ist nicht anders. Uns bleibt nur, die Tatsache unserer Sterblichkeit anzuerkennen. Das Wort "Gehorsam", das die Bibel dafür verwendet, ist schwierig, denn es ist in unserer Sprache militärisch besetzt: als ein Reflex, der kein Nachdenken und erst recht kein Fühlen erfordert. Tatsächlich steckt aber in "Gehorsam" das Wort "Horchen", also eine ganz wache, achtsame Wahrnehmung. Ein Hören auf die Stimme des Lebens und die Bereitschaft, ihr auch dann zu folgen, wenn sie ins Leid führt.
Dass der Gehorsam, für den Isaak und Jesus als Beispiele angeführt werden, kein blinder Kadavergehorsam ist, zeigt sich auch an dem bangen Fragen Isaaks und dem flehendlichen Schreien Jesu. Der christliche Weg führt nicht in eine stoische Gelassenheit oder zu anderen Arten von "psycho dope", mit denen man sich abschotten kann gegen Gefühle wie Angst und Schmerz. Der Weg Jesu führt tief hinein ins Leben.
Und wenn in der Kirche so viel über Leid geredet wird, dann um einen Teil des Lebens bewusst zu machen, der sonst meist verdrängt wird. Die Kirche hat aber keine Rezepte anzubieten für ein schmerzfreies Leben. Es gibt keine klugen Lösungen, die man einfach für sich übernehmen könnte. Jeder muss seine eigene Haltung dem Leid gegenüber finden. Dazu gibt die Passionszeit Anstoß und Gelegenheit.
Gedanken
Vier Stationen auf dem Weg zur Freiheit
ZUCHT
Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen,
so lerne vor allem Zucht der Sinne und deiner Seele,
dass die Begierden und deine Glieder
dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen:
Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen
und gehorsam das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist.
Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
TAT
Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,
nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist Freiheit.
Tritt aus dem ängstlichen Zögern
heraus in den Sturm des Geschehens,
nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,
und die Freiheit wird dich jauchzend empfangen.
LEIDEN
Wunderbare Verwandlung.
Die starken tätigen Hände sind dir gebunden.
Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende deiner Tat.
Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost
in stärkere Hände und gibst dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,
dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
TOD
Komm nun, höchstes Fest auf dem Weg zur ewigen Freiheit,
Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern
unseres vergänglichen Lebens und unserer verblendeten Seele,
dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist.
Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden.
Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
Dietrich Bonhoeffer
Brauchtum
Hungertücher
In manchen Kirchen werden ab dem Sonntag Judika die Kreuze und die übrigen Bilder mit schwarzen oder violetten Tüchern verhängt. Diese Sitte eines "Fastens der Augen" geht zurück auf die mittelalterliche Tradition der sogenannten "Hungertücher".
Bereits um das Jahr 1000 wird in Aufzeichnungen der italienischen Benediktinerabtei Farfa ein Fastenvelum erwähnt. Mit solchen großflächigen Tüchern wurde ursprünglich dem Volk der Blick auf den gesamten Altar und die dort stattfindenden Handlungen entzogen. Damit sollte eine Erfahrung der Gottesferne vermittelt werden, die sowohl dem in der Passionszeit gesteigerten Bewusstsein der Sündighaftkeit des Menschen als auch der schmerzhaften Unbegreiflichkeit Gottes (deus absconditus) entsprach.
Die künstlich geschaffene Schwelle bot natürlich Möglichkeiten zu einer dramatischen Enthüllung und damit zu einer intensivieren Erfahrung der Osterbotschaft.
Hungertuch
Es entspricht der Dynamik von Brauchtumsentwicklung, dass die ursprünglich schlichten Tücher irgendwann auch mit eigenen Bildprogrammen illustriert wurden. In der Sammlung des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn befinden sich zwei große Hungertücher aus der Zeit um 1600, die mit Einhörnern, Löwen und Drachen in Filettechnik verziert sind.
In dieser dekorativen Variante ist die alte Tradition des Hungertuchs in den letzten Jahren wieder aufgelebt, auch in evangelischen Kirchen. Die Tücher z.B. von Misereor werden aber in der Regel als Meditationsbilder verwendet und dienen nicht mehr der Verhüllung.
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