Silvester - Jahresschlussandacht
Obwohl der "Silvestertag" den Namen eines römischen Papstes trägt, verstorben am 31.12.335, ist Silvester kein eigentlich christliches Fest. Da aber der Kalenderwechsel von vielen als persönlicher Übergang erlebt wird, begleitet sie die Kirche mit Jahresschlussandachten, die Elemente von Passageritualen haben:
Zeit, sich zu besinnen, Rückschau zu halten und eine Zwischenbilanz zu ziehen
- für Gelungenes zu danken
- über Verlorenes zu trauern
- sich von eigener Schuld vor Übertritt der Schwelle zu reinigen
- Segen für das Künftige zu erbitten
Engel des Tages (Rumänien 16. Jhd.)
Engel der Nacht (Rumänien 16. Jhd.)
Gedicht
Stufen
Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch
und jede Tugend zu ihrer Zeit
und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
nur wer bereit zum Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Herrmann Hesse
Engelsschwinge
Ich sagte zu dem Engel,
der an der Pforte des neuen Jahres stand:
Gib mir ein Licht,
damit ich sicheren Fußes der Ungewißheit
entgegengehen kann!
Aber er antwortete:
Gehe nur hin in die Dunkelheit
und lege deine Hand in die Hand Gottes!
Das ist besser als ein Licht
und sicherer als ein bekannter Weg!
aus China
Lied
Von guten Mächten EG 65
1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
7. Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhoeffer (1944)
Gedicht
Boot im Sturm
Nun schlägt die Stunde Mitternacht.
Die Zeit steht an der Wende.
Das Altjahr ist zu End gebracht,
nun fährt es hin mit schwerer Fracht
und sinkt in Gottes Hände.
So war es immer, Jahr um Jahr
versank in Gottes Gnaden
mit allem, was hier unser war,
mit Angst und Sorge, viel Gefahr,
Not, Tod und Schuld und Schaden.
Wir danken dir du treuer Gott,
nun da die Zeit sich wendet,
für dein Geleit durch so viel Not,
für deine Liebe, die kein Tod,
kein Graun des Lebens endet!
Nun nimmt das Neujahr uns an Bord.
Schon treiben wir im Winde.
Bleib bei uns, Herr, mit deinem Wort,
dass unser Herz dich fort und fort
in allen Stürmen finde!
Ins Unbekannte geht die Fahrt,
weiß keiner Ziel und Zeiten.
Uns tröstet Gottes Gegenwart!
Und drohn die Wetter noch so hart,
Herr, du wirst uns geleiten.
Arno Pötzsch
Kontext
Als das alte Jahr noch ein neues war,
war das alte Jahr, das schon vorher war
das alte Jahr.
Aber jenes Jahr, das noch nicht da war,
war dann schließlich da, und zwar - als das Neue Jahr,
das nun alt ist. Tja!
Aber eins ist wahr: Dass das Neue Jahr
mal ein altes Jahr werden wird - und gar
ein sehr altes Jahr, das schon vorher war.
Ja, das glaubt man zwar, weil es stets geschah
aber Vorsicht da!
Denn kein Neues Jahr, das noch gar nicht war,
ist als Jahr schon da. Ist das klar?
Und wenn´s nicht klar war? Auch wenn´s richtig war
war auch nur Bla bla. Na, denn Prost - Neujahr!
Hans Scheibner
Silvesterfeuerwerk
Neben den stillen Gottesdiensten am Altjahrsabend hat auch das ausgelassene Feiern einen symbolischen Sinn. Im rauschhaften Chaos wird die alte Ordnung zertrümmert und der Boden bereitet für das Neue, das kommt.
Brauchtum
Rauhnächte
Kalendermäßig stellen die Rauhnächte, eigentlich "Rauchnächte" oder auch "Zwölften" genannt, zwölf Zuschlagstage dar, die den Unterschied zwischen dem alten Mondjahr von 354 Tagen und dem Sonnenjahre von 366 Tagen ausgleichen. Solche Zwischenzeiten (zwischen den Jahren) werden, weil wesensmäßig außer-ordentlich, als Krisenzeiten erfahren.
Wie die Nacht den Gefühlen, Träumen und Alpträumen Raum gibt, so lässt auch die dunkle, kalte Jahreszeit das Unbewusste stärker aufleben. Die Zwölf Nächte zwischen Weihnachten und Epiphanias sind gewissermaßen die Mitternacht des Jahres.
Die Art des Umgangs mit der unheimlichen Bedrohung, die mit dieser dunklen Jahreszeit einhergeht, ist durchaus widersprüchlich:
Zum Teil versucht man, den auflebenden Gefühlen Ausdruck zu verschaffen. Auf "älteste indogermanische und germanische Vorstellungen" gehen z.B. die Geschichten von Wotans Wilder Jagd zurück, im hessischen Raum eher angeführt von "Frau Holle" alias Freya. Vor allem romantische Schriftsteller griffen Erzählstoffe aus den Zwölf Nächten in ihren literarischen Werken auf (z.B. den Schimmelreiter oder die Windsbraut).
Perchtengestalt
Typisch sind auch Dramatisierungen im Volksbrauch: z.B. die alpenländischen Perchtenläufe, bei denen in gewaltigen Masken vermummte Gestalten lärmend umherziehen.
Das ausgelassene Fest der Saturnalien, mit dem im antiken Rom der Jahresbeginn gestaltet wurde, ist eine südländisch hellere Variante dieses Musters. Auch unsere alkoholisierte Silvesterböllerei speist sich aus denselben Wurzeln. Bei all dem geht es weniger darum, "böse Geister" zu vertreiben, sondern eher darum, das Chaos zu bannen, indem man es selbst gestaltet.
Auf der anderen Seite versuchte man auch, den Chaoskräften entgegenzuwirken: So sind zahlreiche Verbote kennzeichnend für diese dunkle Zeit. Mancherorts galten besondere Schweigegebote. Typischer aber ist z.B. die Auflage, in diesen Tagen Geborgtes zurückgeben, die Verhältnisse in Ordnung bringen. (Anklänge scheinen auch im modernen Wirtschaftsleben noch immer fortzuwirken).
Ebenso typisch sind die Versuche, mit Hilfe mantischer Praktiken Aufschluss über die ungewisse Zukunft zu gewinnen. Das Bleigießen als Gesellschaftsspiel ist an Silvester schon lange üblich gewesen. Inzwischen sind differenziertere Orakeltechniken wieder verbreitet.
Vor allem aber wurden sogenannte "apotropäische Riten" gepflegt, um Bedrohungen, die mit der Dunkelzeit einhergehen, abzuwehren:
- Lichter werden entzündet
- Tannengrün (ein Lebenszeichen) an die Tür gehängt
Diese gegenläufige Tendenz prägt auch das kirchliche Brauchtum dieser Tage:
"Die alte Kirche hatte die weihnachtliche Festzeit auf die 12 oder wenn man die Weihnachtszeit mitzählt, 13 Tage vom 25.Dezember bis zum 6.Januar begrenzt, das sogenannte Dodekahemeron der Griechen. ... Die Synode von Tours erkannte diese Festzeit im Jahre 567 an. Sie war durchweg eine Freudenzeit. Daher wurde eine Reihe anderer Feste unmittelbar dem Geburtstag Christi angefügt:
- Stephanus (26.Dez.)
- Johannes (27.Dez.)
- Unschuldige Kinder (28.Dez.)
- Beschneidung Jesu (1.Jan.)
Räuchern (als Reinigungsritual)
Von dem Brauch, die Häuser mit Weihrauch in dieser Zeit auszuräuchern, rührt der Name Rauhnächte (eigentlich Rauchnächte). Sebastian Franck schrieb dazu 1534:
"Die zwolff naech zwischen Weihenacht und Heyligen drey Künig tag ist kein hauß das nit all tag weiroch rauch in yr herberg mache / für alle teufel gespenst und zauberey ..."
Vielfach bezeichnete man die ganze Zeit der Zwölften als Rauhnächte. Gewöhnlich beging man aber in dieser Zeit nur vier Rauhnächte: nämlich an den Vorabenden von St.Thomas (21.Dez.), Weihnachten, Silvester und Drei-Königs-Tag.
Segensbräuche
Eine andere, in den Rauhnächten verbreitete Sitte ist das Neujahrssingen. Sängerrotten zogen von Hof zu Hof, um den Menschen mit ihren Lieder Segenswünsche zu bringen. Diese Tradition lebt im Brauch der Sternsinger fort.
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