Halloween - Allerseelen - Totensonntag
Tod - Teufel
- Einleitung
- Samhain - Allerseelen
- Tod und Teufel
- Schattengeister - Lichtgestalten
...sich nicht ins Bockshorn jagen lassen
Was sich also derzeit von den USA her bei uns ausbreitet, ist keineswegs originell, sondern nur der Re-Import ursprünglich europäischer Traditionen, die nun freilich in Disney-Manier überzeichnet und breit vermarktet werden.
Diese Konsumorientierung verändert freilich den Charakter des alten Festes. Halloween ist heute vor allem eine neue Party-Dekoration, nicht mehr als ein weiterer Spaßfaktor unserer oberflächlichen Event-Kultur.
Während Feste ursprünglich Medien waren, um die in den Fest-Erzählungen enthaltenen Grundwerte einer Gesellschaft in regelmäßigen Abständen wieder ins Bewusstsein zu heben, verkommen sie nun zur inhaltslosen Form. Man kann die Hohlheit und Leere dieser Festgestalt kritisieren, aber das wäre sicherlich eine Anfrage nicht nur an Halloween, sondern an unsere ganze Festkultur.
Angesichts dieser langen Entwicklungsgeschichte ist Gelassenheit angesagt. Wenn die Kirche vor 1200 Jahren so offen und theologisch beweglich war, eine vorgefundene Festtradition zu integrieren, dann sollte es auch heute möglich sein, ohne theologische Verdikte mit einem Fun-Event zurechtzukommen - zumal in einer pluralistischen Gesellschaft, die nicht mehr der Ort ist für religiöse Grabenkämpfe.
Wie Manfred Becker-Huberti in nüchterner Selbstbeschränkung festgestellt hat, bringt es ...
"... gar nichts, sich über Halloween zu erregen oder gar öffentlich Front zu beziehen. Im Gegenteil: Der öffentlich ausgetragene Konflikt macht das Phänomen erst interessant. Deshalb sind Presseanfragen nach der Art: "Was regt Sie an Halloween am meisten auf?" für die Medien notwendig, um Halloween zu problematisieren.
Für die Kirche ist diese Art der Berichterstattung, die sie zum Spaßverderber stilisieren muss, schlicht kontraproduktiv. Man macht sich benutzbar für die falsche Strategie. Da der Konflikt Voraussetzung der medialen Behandlung ist, wird bei fehlendem Konflikt eher keine Berichterstattung erfolgen."
(Manfred Becker-Huberti)
Dieses medienpolitisch kluge Kalkül kann freilich nicht die ultima ratio in Sachen Festkultur sein. So richtig es ist, nicht nach außen hin anprangernd aufzutreten, wird sich die Kirche von dem Phänomen Halloween selbstkritisch in Frage stellen lassen müssen:
Wie kommt es, dass in einer säkularen Festgestalt all jene Gestalten wieder auftauchen, die früher einmal in der Kirche selbst beheimatet waren. Denn das Grausige, Monströse des unerlösten Lebens hatte einst durchaus seinen Platz innerhalb der christlichen Tradition.

Bedrängnis des Einsiedlers Antonius durch die Dämonen
Matthias Grünewald
Die alte Kirche konnte sich in einer für uns nicht mehr nachvollziehbaren Weise an den Darstellung von Martyrerschicksalen erbauen. In den Refektorien der Athos-Klöster kann man es noch erleben, wie die Mönche während des Essens die grauenhaftesten Folterszenen meditieren.

Teufel im Chorgestühl
Ulmer Münster
Auch im Mittelalter gab die Kirche der Darstellung des Unheimlichen seinen festen Ort: Teuflische Wesen hockten vorzugsweise auf den Türmen der Westfassaden, wo sie oft als Wasserspeier dienen und ironischerweise die zerstörerische Kraft des Wassers von der Kirche fernhalten mussten. Aber auch im Innersten der Kirche, im Chorgestühl der Mönche, finden sich skurril geschnitzte Dämonen, die auf innerpsychische Realitäten verweisen wollen. Überhaupt entfaltete die mittelalterliche Kirchenkunst eine regelrechte Ikonographie des Bösen.
Als genialer Höhepunkt der Maler Hieronymus Bosch, der seine schaurig schönen Traumphantasien in Bilder verwandelte, gegen die sich noch die wildeste Halloweenfeier wie eine harmlose Gartenparty ausnimmt.

Die Mönchshölle - Hieronymus Bosch
Die Barockzeit, deren ausgeprägte Festkultur sich als Gegenbewegung zu allgegenwärtigen Leiderfahrungen verstehen lässt, machte auch vor drastischen und burlesken Inszenierungen des Todes nicht Halt. Und schließlich hatte auch die historistische Kirchenästhetik des 19. Jahrhunderts, vielleicht angeregt durch die Romantik, einen ausgesprochen morbiden Zug, der noch heute in den Horrorszenarien Hollywoods gern zitiert wird.
Inzwischen sind die Kirchen gelüftet, die schwarzen Altarbehänge entsorgt, das Drohen mit Strafen hat aufgehört. Dafür wagt niemand mehr so recht von den letzten Dingen zu sprechen: der Tod ist vor allem eine Frage menschlicher Nähe und Begleitung geworden, Auferstehung wäre schön, Fragen des Gerichts werden lieber umgangen, die Jenseitsvorstellungen (früher Himmel und Hölle) sind ungewiss.
Wir haben das Tremendum, die dunkle Seite Gottes, so gründlich zumindest aus der kirchlichen Symbolwelt ausgetrieben, dass wir nun ratlos dastehen, wenn es uns in Gestalt kindlichen Larvenspiels begegnet.
Mühsam lernen wir, dass es offenbar ein menschliches Bedürfnis ist, das Unheimliche und damit die im Innern verborgenen Gefühle darzustellen. Es kann gut und befreiend sein - und zwar auch für Kinder - , die Nachtseite des Lebens und ihre dunklen Schatten spielerisch zu erobern und auf diese Weise zu lernen, mit eigenen Ängsten umzugehen. Sogar die Pietätlosigkeit, die an Halloween so gern kritisiert wird, kann ihren Sinn haben.
Ansätze für eine ironische Auseinandersetzung mit dem Tod findet man schon in der Bibel, zum Beispiel in den Worten des Paulus:
"Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" (1.Kor 15,55)

Der Teufel versucht, die göttliche Gnade
aus dem Lot zu bringen - Silte (Gotland)
Liturgisch aufgenommen wurde diese spöttische Haltung am deutlichsten in der Tradition des Ostergelächters, mit dem der Tod als eine letztlich überwundene Realität dargestellt wird.
Auch die bildlichen Darstellungen des Todes, die Seelenwägungsfresken auf Gotland z.B., bei denen allerlei Teufelchen sich vergeblich abmühen die göttliche Gnade aus dem Lot zu bringen oder die großen Totentanzzyklen, haben oft einem Zug ins Burleske.
Anscheinend hatten die Christen früherer Zeit neben ihrer starken Jenseitsangst noch einen unbefangeneren Zugang zum Tod und den Toten. So waren die um die Kirchen herum angelegten Friedhöfe auch Orte des Feierns, wo man durchaus lachen und tanzen durfte. Etwas was heute am ehesten noch in Südamerika zu erleben ist.

Zuckersärge in Südamerika
Dort haben sich auch - übrigens unabhängig vom nordamerikanischen Halloween - Allerseelenbräuche erhalten, die auf uns makaber wirken, aber durchaus einen positiven Sinn haben. So werden in Mexiko kleine Zuckersärge mit Gerippen und Gebäck in Knochenform verkauft, die dann im Andenken an die Verstorbene verspeist werden.
Es gibt offenbar ein natürliches Oszillieren zwischen Tragik und Komik, eine Auflehnung des Lebens gegen den starren Ernst des Todes. Die Erschütterung des Lachens baut Spannung ab, hilft das Unvereinbare zu versöhnen. Solch ein Umschlagen der Stimmung kann man häufig beim Kaffeetrinken nach einer Beerdigungen erleben, wenn sich die Trauergesellschaft wieder der Welt der Lebenden zuwendet.
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