Das Kirchenjahr
Aufsatz: Symphonie der Zeit - 4
- Rhythmus
- Melodie
- Polyphonie
- Dur und Moll
Dur und Moll

Yin - Yang
Die gegenwärtige Eventkultur versucht, das Leben als eine nichtendenwollende Party zu inszenieren, produziert dabei aber unvermeidlich Abstumpfung. Eine Zeit lang lassen sich Attraktionen zwar immer weiter steigern ("Es geht lauter"), aber irgendwann sind unsere Sinne ausgereizt - und die Seele ausgebrannt.
Der christliche Kalender hat eine weisere Festkultur bewahrt: Das Kirchenjahr ist kontrapunktisch komponiert. Den großen Festen (Weihnachten, Ostern) sind Bußzeiten (Advent, Passionszeit) vorgelagert. Den Zeiten der Ausgelassenheit gehen also Phasen innerer Einkehr voraus. Der Kontrast läßt die Töne des sich anschließenden Festes umso strahlender erklingen.
Der Advent ist eigentlich eine Zeit der Bereitung und des Wartens. Für Kinder eine Zeit des Duftes, aber noch nicht des Essens; für Erwachsene auch eine Zeit des Schmerzes, der aus dem Gegensatz von Sehnsucht nach einer heilen Welt und der realistischen Einsicht in die leiderfüllte Wirklichkeit erwächst.
Überall dort, wo der Advent diese eigene Prägung verloren hat und zur bloßen "Vor-Weihnachtszeit" herabgesunken ist, ist der verlebendigende Kontrast verloren. Die Folge: Bis zum Heiligen Abend haben sich die Kinder am Lebkuchen den Magen verdorben; und die Erwachsenen können die süße Weihnachtsmusik nicht mehr hören.
Die Fastenzeit in den sieben Wochen vor Ostern wurde zum Teil aus der Not geboren (nach einem langen Winter waren in dieser Zeit die Vorräte oft knapp). Aber der Fastenbrauch entspricht auch einer biorhythmischen Tendenz zur Entschlackung in dieser Jahreszeit (Frühjahrsputz,Frühjahrsdiät).
Körperliche und seelische Reinigung, bei der die Sinne geschärft werden und das Leben tiefer und bewußter erfahren wird, schafft gute Vorraussetzungen, um an Ostern mit der Auferstehung Christi das Wiedererwachen des Lebens im Frühling befreit und freudig begrüßen zu können.
Nun sind sieben Wochen eine lange Zeit. Die Passionssonntage waren deshalb schon immer von den Fastenregeln ausgenommen. Und mancherorts haben es sich die Menschen nicht nehmen lassen, vor Beginn der Passionszeit noch einmal feste zu feiern.
Dem geradlinigen Protestantismus sind Fastnacht und Karneval zwar immer fremdgeblieben, aber vielleicht kann man zumindest gedanklich nachvollziehen, daß Lachen und Weinen manchmal nahe beieinanderliegen. Das Kirchenjahr ist auch darin eine Schule des Lebens, daß es herausfordert, die Zusammenhänge zwischen den Gegensätzen zu erkennen.
Christian Trappe
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