Das Kirchenjahr
Aufsatz: Symphonie der Zeit - 2
- Rhythmus
- Melodie
- Polyphonie
- Dur und Moll
Melodie
Ursprünglich war allein Ostern "das" große Jahresfest der Christenheit. Als man begann, die einzelnen Glaubensinhalte auf verschiedene Termine im Jahreslauf zu verteilen, wurde jeweils wenige Tage nach Quartalsbeginn ein großes Fest plaziert, das dem Charakter der Jahreszeit und der seit jeher symbolisch damit verbundenen menschlichen Lebensphasen entsprach.
Die Feste des Kirchenjahres
Das Weihnachtsfest wurde in der westlichen Kirche ganz bewußt vom 6.Januar auf den 25.Dezember verlegt, um ein römisches Sonnenwendfest zu ersetzen. Von daher spielt der Kontrast von Finsternis und Licht an Weihnachten seit jeher eine große Rolle. Das eigentliche Meditationsbild des Festes ist aber das neugeborene Kind: Ungeschützt und gefährdet, ist es doch Träger der Hoffnung auf das neue Leben, das sich in der winterlichen Verborgenheit vorbereitet.
Es ist kein Zufall, daß die Kinder und die Familie im Mittelpunkt weihnachtlichen Brauchtums stehen. Erwachsene werden durch das Geburtsfest des Gotteskindes an die eigene Kindheit erinnert; z.T gelingt es ihnen, in das paradiesische Ideal familiärer Geborgenheit kurzzeitig wiedereinzutauchen, z.T. erleben sie sich aber auch im schmerzhaften Abstand dazu.
Das Osterdatum ist ebenfalls vom Beginn einer Jahreszeit abgeleitet: Die Feier der Auferstehung Christi wird am Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühlings-Tagundnachtgleiche begangen. Wie sein jüdisches Vorbild (Passah) ist auch das christliche Ostern ein Frühlingfest. Erfahrungen der aufbrechenden Natur im Frühjahr veranschaulichen die Botschaft von der Auferstehung Christi.
Wie bei vielen Frühlingsfesten spielen naturgemäß die Jugendlichen an Ostern eine besondere Rolle. In unseren Kirchen sind es die Konfirmanden, die sich in der Regel vor Ostern im Gottesdienst vorstellen und nach Ostern eingesegnet werden. Gerade im Passions- und Ostergeschehen können Jugendliche den tiefgreifenden Umbruch, den sie in der Pubertät durchleben, widergespiegelt finden. Die Unterweisung über das Geheimnis von Kreuz und Auferstehung galt seit jeher als die entscheidende Einführung in eigenständiges (Christen-)Leben.
Der Johannistag (24.Juni) wird derzeit kaum mehr begangen, spielte aber in der Vergangenheit eine wichtige Rolle. Da nach biblischer Überlieferung (Lk 1,36) Johannes der Täufer sechs Monate älter als Jesus war, wurde sein Geburtsfest, von Weihnachten ausgehend sechs Monate zurückgerechnet, auf die Sommersonnenwende festgesetzt. Johannes, ein wilder Mann und kraftvoller Wegbereiter Jesu, passte für ein Fest in der sommerlich, sonnendurchfluteten Jahreszeit.
Wie Pfingsten ist Johanni ein feuriges Fest, voller Lebensfreude und Erotik; aber auch von dem Wissen geprägt, daß die Lebenskraft nicht unsere ist, sondern uns von Gott zuwächst. In der Zeit um Pfingsten und Johanni herum finden die meisten Trauungen des Jahres statt. Es kommen also Leute in die Kirche, die auf der Höhe ihrer Kraft stehen, die aber auch die größte Arbeitslast zu tragen haben.
Auch Michaelis (29.9.) ist ein inzwischen versunkenes Fest, an dem sich aber der Charakter des herbstlichen Kirchenjahres noch immer gut erkennen läßt.
Die Michaelsgeschichte, der Kampf zwischen guten und gefallenen Engeln, spiegelt die Ambivalenzen wider, die am Ende eines jeden Lebens offenliegen. Vieles ist gelungen; dafür ist Dank zu sagen (Erntedank). Manches ist auch falsch gewesen oder unwiederbringlich verlorengegangen; auch das ist zu bekennen und zu beklagen (Bußtag, Totentage). Wenn das geschieht, wird Gott sich am Ende als ein gnädiger Richter erweisen, der die Bruchstücke des Lebens zu einem Ganzen zusammenfügt (Ewigkeitssonntag).
Die Feste der Christenheit sind mit solch knappen Interpretationsansätzen keineswegs ausreichend erfaßt. Hier soll nur deutlich werden, daß die einzelnen Feiertage in einem Zusammenhang stehen. Wer dem kirchlichen Kalender folgt, wird im Laufe jedes Jahres einmal an die Grundfragen des Lebens heranführt.
Winter
- Wintersonnwende: 21.12.
- Advent, Weihnachten, Epiphanias
- Dunkelheit und Licht, Erwartung, Beginn, familiäre Geborgenheit
- Kindheit, Kindertaufe
Frühling
- Tag- und Nachtgleiche: 21.03.
- Passion/Ostern (am Sonntag nach Vollmond nach Tag- und Nachtgleiche
- Leben aus dem Tod, Verwandlung
- Jugendzeit, Konfirmation
Sommer
- Sommersonnwende: 21.06.
- Pfingsten, Johannis (24.06)
- Energie, Liebe, Schöpferkraft, Geist
- Erwachsenenalter, Hochzeit
Herbst
- Tag- und Nachtgleiche: 21.09.
- Michaelis (29.09), Erntedank, Totentage, Bußtag, Ewigkeitssonntag
- Kampf, Zuversicht, Fülle, Dank, Erinnerung, Trauer, Schuld, Versagen, Gericht, Vollendung
- Lebensende, Beerdigung
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