Die Geschichte der Klosterkirche Lippoldsberg
6. Lippoldsberg - ein Ort für Witwen und Jungfrauen
So reich, dass es in einer Quelle, dem sogenannten Lippoldsberger Chronicon von 1151, über den Hildesheimer Presbyter namens Betto heißt, "... er habe in Lippoldsberg eine Eigenkirche und beträchtlichen Landbesitz des Mainzer Stuhles vorgefunden, der ihm geeignet schien Jungfrauen und Witwen unterzubringen".
Wie bereits deutlich wurde, war der Rückzug von der Welt und die Hinwendung zu Gott in der mittelalterlichen Gesellschaft weit verbreitet. Für die hier angesprochenen "Jungfrauen und Witwen" galten in solch kriegerischen Zeiten auch noch andere Gründe um sich für das Leben im Kloster zu entscheiden. 1096 war zum ersten Kreuzzug aufgerufen worden und die Kämpfe hatten während des Investiturstreites viele Opfer gefordert.
So fanden nicht nur viele Witwen den Weg ins Kloster, in das sie das wenige was sie noch besaßen einbrachten, sondern auch viele Unverheiratete mussten sich aus ökonomischen Gründen für diesen Schritt entscheiden. Die Familien gaben dann die Mitgift der jungen Frauen die oft aus Grund und Boden, aber auch aus Inventar und Geld bestand den Klöstern, statt den jungen Verehrern und Bewerbern, die in so großer Zahl gefallen waren.
Für die zumeist adeligen Familien bestand der Vorteil einer solchen Lösung in der Versorgung der jungen Frauen und der Gewissheit, dass diese Familienmitglieder für ihrer aller Seelenheil tagein tagaus beten würden.
Neben dem Klosterleben, das von denjenigen die sich dafür entschieden, nicht nur Keuschheit, das gemeinschaftliche Leben, sondern auch Armut und eine lebenslange Verpflichtung erwartete, hatte sich im letzten Jahrhundert des ersten Jahrtausends eine weitere Form des weltfernen Lebens für Frauen etabliert: das Leben in einem Kanonissenstift. Auch für die Stifte galt das gemeinschaftliche Leben, die Einhaltung der Chorgebete und die Keuschheit als Verpflichtung. Doch räumte man den adligen Damen hier die Möglichkeit eines eigenen Hausstandes und von Dienstboten ein.
Mit dieser Beibehaltung von Privateigentum blieben die Kanonissen zu meist autark. Der weitreichendste Unterschied zwischen dem Leben einer Nonne im Kloster und dem einer Stiftsdame war jedoch die Möglichkeit für letztere ihre Entscheidung wieder rückgängig zu machen. So blieben die Damen ihren Familien als Unterpfand für eine neue Bündnispolitik oder anders motivierte Eheschließungen erhalten.
Doch zurück zu dem Hildesheimer Betto.
Ob die Entscheidung in Lippoldsberg religiösen Damen, den sogenannten "sanctimoniales" eine Heimstatt zu errichten wirklich auf Betto zurück ging, wie im Chronicon berichtet wird, oder eher auf die Initiative des um die Jahrtausendwende amtierenden Mainzer Erzbischofs Ruthard, muss offen bleiben.
Die Gründungsurkunde des Lippoldsberger Klosters, die auf das Jahr 1062 datiert und als zumindest teilweise gefälscht eingeordnet werden muss, nennt den Mainzer Erzbischof als Gründer des Klosters Lippoldsberg. Doch ebenso wenig wie sich endgültige Aussagen über den Stifter machen lassen, so muss die Frage ob Stift oder Kloster für die ersten Jahre offen bleiben. Erst mit der Eidesurkunde der Lippoldsberger Nonnen, der ersten, echten Urkunde des Klosters, die auf die Jahre 1099 bis 1101 datiert werden kann, wird diese Frage geklärt.
In dieser Urkunde verpflichten sich 25 Nonnen nach dem Vorbild des Schaffhausener Klosters St. Agnes den Gewohnheiten der Hirsauer Reform zu folgen. Hier wird ausdrücklich auf eine eigene Haushaltsführung der Äbtissin verzichtet. Man könnte dies als ein Indiz für die Existenz eines Stiftes in Lippoldsberg werten.
Mit diesem Gelöbnis, das ausdrücklich von allen Nonnen unterzeichnet wurde und mit dem Siegel des Erzbischofs Ruthard von Mainz versehen wurde, tritt Lippoldsberg für einen kurzen Moment in das Schlaglicht der Geschichte. Denn außer der Priorin, zweier Inklusen, der Nonnen und Laienschwestern unterzeichneten mit insgesamt 117 Unterschriften führende Bischöfe, Äbte und weltliche Fürsten diesen sogenannten Nonneneid.
Die Anwesenheit so vieler führender Persönlichkeiten, die zumeist im kaiserfeindlichen Lager anzusiedeln sind, weist für die Jahrtausendwende auf ein Treffen der päpstlichen Opposition gegen den Kaiser in Lippoldsberg hin. Da es keine anderen Quellen zu diesem Treffen gibt, bleiben Grund und Motivation unklar.
Auch die Frage ob es sich bei den unterschreibenden Nonnen um "Lippoldsbergerinnen", als bereits vor dem Nonneneid dort ansässigen Schwestern handelt, oder ob das Kloster von Schaffhausen Nonnen zur Reform des Stiftes in ein Benediktinerinnenkloster dorthin entsendet hat, und wir es damit mit einem personellen Neuanfang zu tun haben, ist nicht nachzuweisen.
Nach der Unterzeichnung des Lippoldsberger Nonneneides versinkt das Kloster, und nun können wir wirklich von einem Kloster sprechen, wieder im Schatten der Geschichte.
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