Heilige - Kritische Aspekte
- Die Heiligen
- Was sind Heilige?
- Kritische Aspekte
- Heilige sind nicht gleich Heilige
- Allerheiligen - oder die "Wolke der Zeugen"
- Literatur: Heilige
Eine lebendige Begegnung mit den Glaubenszeugen wird oft durch Schichten hagiographischer Übermalung erschwert. In diesen Verzerrungen wirkt die problematische Heiligen-Politik (leider noch nicht ganz) vergangener Zeiten nach.
Die Heiligengestalten wurden im Interesse kirchlicher oder auch weltlicher Potentaten schonungslos instrumentalisiert:
- Der machtvolle Erzengel Michael wurde in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends immer wieder bemüht, wenn es galt, vorchristliche Kultstätten zu besetzen.
- St. Martin diente als Markenzeichen der fränkischen Mission.
- Der ritterliche St. Georg musste zur Legitimierung der Kreuzfahrten herhalten. (Legende vom Ritter Georg »»)
- Die Translation von Reliquien der Hl. Drei Könige sollte sich als der größte machtpolitische Coup der Stadt Köln erweisen.
- Und weil der Besitz von Heiligen-Reliquien so bedeutsam sein konnte, (er-)fand man im nordspanischen Compostella schlicht ein Apostelgrab, das - obwohl eine Fälschung - dennoch die größte Pilgerbewegung des Spätmittelalters auszulösen vermochte.
![Grab des Jakobus - Santiago de Compostella](img/compostella-grab.jpg)
Grab des Jakobus - Santiago de Compostella
Problematisch sind diese machtpolitischen Händel und frommen Betrügereien natürlich vor allem im Hinblick auf das irregeführte Volk, aber auch bezüglich der Glaubenszeugen selbst. Denn um die Würde oder gar die ursprünglichen Intentionen der verehrten Heiligen kümmerte man sich bisweilen wenig. Die posthume Vermarktung der Elisabeth von Thüringen z.B. hat eine Tragik, die in unserer Zeit vielleicht mit der von "Lady Di" zu vergleichen ist. Die reale Person droht hinter fiktiven Konstruktionen völlig zu verschwinden.
Durch fromme Stilisierungen wurden viele der Heiligengestalten in eine Uniformität gedrängt, die ihnen ihre ursprünglich Kraft raubte. Und es kann überaus spannend sein, wenn es gelingt, diese Heiligen von der Vereinnahmung durch Epigonen und kirchliche Tradenten zu befreien.
Andererseits steht jeder, der sich mit der Vita von Heiligen befasst, selbst in der Versuchung, die eigenen, zeitgeschichtlich bedingten Wertsetzungen in die Gestalt des oder der Heiligen hineinzuprojizieren. Demgegenüber gilt es, sich gegenwärtig zu halten, dass die Heiligen meist ganz anders sind, als wir sie uns vorstellen. Sie sind schwer fassbar, nicht einzuordnen mit den Maßstäben, die unsere Alltags-Normalität regeln. Zuweilen erscheinen sie uns verrückt und überschreiten die Grenze zum Pathologischen. Das Unbekannte und die Weite dieser Persönlichkeiten kann erschrecken.
"Deshalb sind wir bemüht, sie auf ein gängiges Format einzuschrumpfen; Klischees von ihnen zu schaffen, die wir auf feinverzierte Sockel stellen. Dort vermögen sie uns nicht mehr zu beunruhigen und die Werte unserer Welt auf den Kopf zu stellen." (Rüdiger Müller)
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