Nikolaus
Heiliger zwischen Kult und Klamauk - 6
In neun Kapiteln geht Christian Trappe der Frage nach, wie sich die Nikolaus-Legende entwickelt und erhalten hat.
- Einführung - Wer war Nikolaus
- Die Stratelaten-Legende
- Brot für Myra
- Entfaltung der Legenden und Bräuche
- Die Scholarenlegende
- Die Anfänge des Spiels im Mittelalter: das Kinderbischofsspiel
- Die Entwicklung der Beschertraditionen zu Nikolaus
- Knecht Ruprecht und Weihnachtsmann
- Resümee
Die Anfänge des Spiels im Mittelalter: das Kinderbischofsspiel
Schülerbischof mit zwei
Ministranten am Nikolausabend
300 Jahre später kam es in den nordfranzösischen Klosterschulen wiederum zu einer neuen Entwicklung. Ein alter Brauch, der ursprünglich mit dem 28. Dezember, dem "Tag der Unschuldigen Kindlein", verbunden war, wurde damals auf den Nikolaustag verlegt: das Kinderbischofsspiel.
Das Kinderbischofsspiel war ein typisches Narrenspiel, das die Schulordnung vorübergehend bewusst auf den Kopf stellte: Der jüngste Schüler wurde zum Bischof gewählt. Und alle, die Mitschüler wie auch die lehrenden Mönche, mussten dem Kinderbischof für einen Tag lang folgen.
Solche Spiele lassen etwas vom revolutionären Geist des Evangeliums erkennen. Sie versuchten, die großen Umwertungen Jesu ansatzweise zu verwirklichen: Die Ersten werden die Letzten sein. Und: Wer herrschen will, soll dienen.
Andererseits haben Narrenfeste natürlich nur eine Ventilfunktion; sie bestätigen die herrschende Ordnung, weil auch in der Umkehrung die Ordnungsstruktur erhalten bleibt.
Was die Verlegung des Kinderbischofsspiels auf den Nikolaustag ausgelöst haben mag, lässt sich nur vermuten. Wahrscheinlich wollte man dem Spiel die ihm innewohnende Dynamik nehmen. Weil die Kinder den gewährten Freiraum natürlich oft ausnutzten, wurde ihre Rolle durch die Festlegung auf den gütigen Bischof Nikolaus gezähmt. Aus dem wilden Umkehrspiel wurde so ein harmloses Erinnerungsspiel.
Nikolaus - Spekulatius-Model
Ein weiterer Schritt der Zähmung des Verkleidungsspiels bestand darin, die Rolle des Bischofs schließlich mit einem Erwachsenen zu besetzen. Der Heilige wurde zum Schulvisitator, der Katechismuswissen, Gedichte und Lieder abfragte.
Fleißige Schüler belohnte dieser prüfende Bischof, "episcopus speculator" mit besonderen, nach ihm benannten Gebäck: den Spekulatius. Die Faulen bestrafte er mit der Rute.
So mutierte der Kinderfreund zum Kinderschreck, der die zuweilen kümmerliche Autorität der Erzieher durch seine mächtige, himmlische Autorität zu überhöhen suchte. Die Versuchung einer schwarzen Pädagogik war offenbar in allen Zeiten groß.
Nikolaus im Struwelpeter
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